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Christian Lindner  Martin Rulsch  1

LINDNER-Interview: Das Verhalten von VW ist skandalös

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner (Foto) gab dem „Fränkischen Tag“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Christoph Hägele.

Frage: Das Rennen um das Kanzleramt halten Sie selbst ja für entschieden. Welchen Unterschied macht es dann, ob Cem Özdemir für die Grünen oder Christian Lindner für die FDP neben einer Kanzlerin Merkel am Kabinettstisch sitzt?

Lindner: Zunächst einmal ist eine Regierungsbeteiligung der FDP auch dann kein Selbstläufer, wenn es rein rechnerisch für Schwarz-Gelb reichen sollte. Wir haben seit 2013 viel zu viel gerackert, um jetzt unsere Inhalte und Projekte auf einem Koalitionsaltar zu opfern. Für uns ist entscheidend, dass eine liberale Handschrift sichtbar wird. Wenn dies nicht gelingt, geht die FDP in die Opposition.

Frage: Welche Bedingungen muss erfüllen, wer mit der FDP eine Koalition bilden möchte?

Lindner: Wir wollen, dass Deutschland bei der Bildung einen Sprung nach vorne macht, bis 2030 wieder in der Weltspitze sein. Zweitens die Einwanderungspolitik endlich auf eine verantwortliche Grundlage stellen und drittens künftig verhindern, dass zu viel Bürokratie und zu viele Vorschriften die Freiheit von Bürgern und Betrieben beschränken. Hinzu kommt, dass wir eine neue Balance zwischen Bürgern und Staat wollen, also die Mitte der Gesellschaft finanziell entlasten.

Frage: Wie viel Charme besäße eine Koalition unter Beteiligung der Grünen und der FDP?

Lindner: Dafür fehlt mir die Fantasie. Die Grünen wollen die Menschen bevormunden, wir wollen sie zur Selbstbestimmung und Freiheit ermutigen. Und bei der Einwanderung sind die Grünen politisch im Jahr 2015 stehengeblieben.

Frage: Sie haben mehrmals einen Untersuchungsausschuss über die Vorgänge im September 2015 gefordert. Damals ließ die Regierung tausende Flüchtlinge aus Ungarn einreisen. Bleiben Sie bei Ihrer Forderung nach einem Ausschuss?

Lindner: Es bleibt dabei. Mir geht es in dieser Frage übrigens nicht um Vergeltung, sondern allein um Aufarbeitung und Lehren für die Zukunft.

Frage: Was, wenn die FDP doch in der Regierung säße?

Lindner: Eine der Voraussetzungen für eine Regierungsbeteiligung der FDP wäre ja gerade, dass sich die Vorgänge aus dem Herbst 2015 nicht mehr wiederholen und Deutschland eine realistische Einwanderungspolitik verfolgt.

Frage: Auf die Notwendigkeit eines neuen Einwanderungsrechts können sich im Grundsatz sämtliche Parteien einigen: Wo bleibt dann die fällige Debatte über dessen konkrete Ziele, Quoten und Kriterien?

Lindner: Wir benötigen in der Migrationspolitik endlich mehr Klarheit. Der erste Pfeiler unseres Konzepts ist das Asyl. Das bekommen Menschen, die individuell politisch verfolgt werden. Der zweite Pfeiler ist der Schutz für Kriegsflüchtlinge. Klar muss hier aber sein, dass Kriegsflüchtlinge in der Regel in ihre Heimat zurückkehren, wenn diese hinreichend stabilisiert ist. Der dritte Pfeiler ist die qualifizierte Zuwanderung. Wer diesen Weg beschreiten möchte, kann sich bewerben. Entschieden wird dann zum Beispiel anhand seiner beruflichen Qualifikation, seiner sprachlichen Fähigkeiten und der Akzeptanz unserer Rechtsordnung. Hier geht es um Fachkräfte, die Deutschland benötigt und selbst auswählt.

Frage: Nennen Sie doch einmal eine Zahl: Wie viele qualifizierte Zuwanderer benötigt Deutschland pro Jahr?

Lindner: Eine Zahl lässt sich seriös nicht nennen. Es sollte auch nicht allein Aufgabe der Politik sein, dies festzulegen. Dies sollte eine Kommission mit Vertretern aus Wirtschaft und Gewerkschaften machen, die den Bedarf des Arbeitsmarkts an Fachkräften jedes Jahr neu beurteilen.

Frage: Können alle, die gern mehr Netto von ihrem Brutto hätten, auf die FDP zählen?

Lindner: Eindeutig ja, denn das Problem ist ja in den letzten Jahren noch gravierender geworden. Die Zinsen sind künstlich niedrig, die Staatseinnahmen hoch wie nie. Im Jahr 2021 hat der deutsche Staat rund 150 Milliarden mehr an Einnahmen als 2016. Eine Entlastung von 30 bis 40 Milliarden ist nicht nur machbar, sondern ein Gebot der Fairness.

Frage: Wie wollen Sie das erreichen?

Lindner: Unter anderem wollen wir die Stromsteuer abschaffen, den Solidaritätszuschlag 2019 auslaufen lassen und die kalte Progression lindern.

Frage: Also beansprucht die FDP anders als 2009 das Finanzministerium?

Lindner: Wir sind nicht einmal im Bundestag, da beanspruche ich jetzt nicht schon Posten. Die FDP hat 2009 aber einen Fehler gemacht, als sie nicht auf das Finanzministerium bestand. Das hat einerseits der FDP selbst geschadet. Es hat aber auch den Deutschen geschadet. Finanzminister Schäuble hatte und hat keinerlei Interesse, die Deutschen steuerlich zu entlasten. Die Konsequenzen können die Deutschen Monat für Monat auf ihrem Gehaltszettel betrachten.

Frage: Würden Sie sich heute noch guten Gewissens einen Diesel kaufen?

Lindner: Ja. Ich finde es unverantwortlich, wie nicht nur die Grünen die Autoindustrie schlechtreden. Wenn die Umweltministerin nur Diesel mit der Euro-6d-Norm von Fahrverboten ausnehmen will, kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Es gibt ja diese besagten Autos noch nicht einmal im Handel. Wenn die Umweltministerin so weitermacht, redet sie eine Schlüsselindustrie in den Niedergang.

Frage: Aber auch Frau Merkel hält das Ende der Verbrennungsmotoren für gekommen.

Lindner: Ich habe das mit Erstaunen gelesen. Von mir werden Sie eine solche Aussage nicht hören. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass es den Diesel auch in mehreren Jahrzehnten noch geben wird. Auf der anderen Seite warne ich davor, die Erwartungen in die Elektromobilität fast schon religiös zu überhöhen. Wir sollten die Mobilität der Zukunft nicht am grünen Tisch festlegen, sondern technologieoffen forschen.

Frage: Die FDP will die Entscheidung über ökologisch überzeugende Antriebe der Kreativität der Ingenieure überlassen. Wegdiskutieren lassen sich die Abgas-Manipulationen aber nicht.

Lindner: Natürlich nicht. Ich finde das Verhalten von VW und anderen skandalös. Deshalb müssen die betreffenden Autobauer auch die Käufer entschädigen und die Autos entsprechend nachrüsten. Entschädigungen dürfen nicht das Privileg von Käufern in den USA sein.

Frage: Reichen die in Aussicht gestellten Software-Updates?

Lindner: Nein, ich befürchte nicht. Die Autobauer müssen auch die Hardware ertüchtigen. Auf eigene Kosten natürlich. Dann müssen die Aktionäre eben notfalls einmal auf eine Dividende verzichten.

Frage: Wie empfinden Sie das Comeback von Karl-Theodor zu Guttenberg?

Lindner: Ich finde es richtig, wenn Menschen nach einem Scheitern eine zweite Chance bekommen. Demokratie lebt zudem von der Vielfalt der Köpfe. Auch deshalb begrüße ich, dass er sich wieder mehr einmischt. Dass er sich bei seinem Auftritt in Kulmbach für eine konsequentere Einwanderungs- und eine Integrationspolitik ausgesprochen, findet ebenfalls meine Unterstützung. Das ist auch Haltung der FDP, aber leider nicht aller in der CDU und CSU.