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Christian Lindner  Martin Rulsch  1

FDP / LINDNER-Interview: Familiennachzug nur in wenigen Härtefällen

Der FDP-Parteivorsitzende und Vorsitzende der Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag, Christian Lindner (Foto), gab der „Passauer Neuen Presse“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Herholz:

Frage: Die Flüchtlingspolitik bleibt einer der größten Streitpunkte bei den Jamaika-Verhandlungen. Kommen Sie den Grünen beim Familiennachzug entgegen?

Lindner: Der Familiennachzug muss auf wenige individuelle Härtefälle beschränkt bleiben, solange es kein Regelwerk für die Einwanderung und Rückführung von Migranten ohne Aufenthaltsrecht gibt. Gelungene Integration muss zudem ebenfalls eine Rolle bei der Genehmigung spielen. Ich sehe da keine Möglichkeit, den Grünen weiter entgegenzukommen. Eine Ausweitung des Familiennachzuges würde die Akzeptanz einer neuen Regierung sofort zunichtemachen. Wir müssen Zuwanderung begrenzen und dürfen bestimmte Richtwerte nicht überschreiten.

Frage: Die Wirtschaft wächst weiter kräftig. Ist es jetzt Zeit für ein großes Investitionspaket?

Lindner: Die Wirtschaft läuft vorzüglich, was aber auch mit Sondereffekten wie der Politik von EZB-Präsident Mario Draghi zu tun hat. Wir wollen dafür sorgen, dass der Aufschwung weiter anhält und wir das Ziel der Vollbeschäftigung erreichen. Die Politik muss der Versuchung widerstehen, teure Daueraufgaben für den Staat zu beschließen. In der Hochkonjunktur bei ausgelastetem Bausektor können auch die Investitionen nicht uferlos ausgeweitet werden, weil das nur die Preise antreibt. Die Wirtschaftsweisen empfehlen stattdessen eine Entlastung der Menschen.

Frage: Wird der Soli von einer Jamaika-Koalition gestrichen?

Lindner: Dazu raten wir. Der Solidaritätszuschlag war zur Finanzierung der Deutschen Einheit befristet eingeführt worden. Wir setzen uns dafür ein, dass der Soli in dieser Legislaturperiode für alle beendet wird. Angesichts des Einnahmewachstums des Staats ist das finanzierbar. Dennoch wäre es gut, im Bundeshaushalt nach Möglichkeiten zu suchen, den Staat effizienter zu machen und auch Subventionen einmal auf den Prüfstand zu stellen.

Frage: Wo sehen Sie Einsparpotenzial?

Lindner: Die Kaufprämie für Elektroautos bringt nichts, weil nicht der Preis, sondern die fehlende Infrastruktur das Problem ist. Auch bei den Programmen von Frau Nahles lohnt eine kritische Durchsicht, ob etwa Langzeitarbeitslosen nicht wirksamer geholfen werden kann. Alle Maßnahmen, über die wir beraten, stehen jedenfalls leider unter einem Finanzierungsvorbehalt, so sinnvoll sie auch sind. Allen ist klar, dass es keine Neuverschuldung geben darf. Für uns kommt als zweite Leitplanke dazu, dass der Soli wegfallen sollte.

Frage: Arbeitgeberverbände fordern die Stabilisierung der Sozialversicherungsbeiträge…

Lindner: Die Sozialversicherungsbeiträge sollten in Zukunft unter 40 Prozent bleiben und eher sinken als steigen. Das ist ein Beitrag zur Entlastung von Menschen mit geringeren Einkommen, aber auch eine große Herausforderung angesichts der Alterung der Gesellschaft.

Frage: Die Grünen bestehen auf einen Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2020. Was spricht dagegen?

Lindner: Es spricht nichts dagegen, in größerem Umfang auf Kohleverstromung zu verzichten, wenn Strompreis und Versorgungssicherheit stabil bleiben. Das ist keine politische, sondern eine physikalische Frage. Union und FDP halten es für möglich, Kohleenergie in einer Größenordnung von drei bis fünf Gigawatt rascher als geplant abzuschalten. Das ist ein äußerst ambitioniertes Angebot an die Grünen. Ich bedauere, dass dieser enorme Kraftakt von den Grünen bis zur Stunde noch nicht gewürdigt wurde. Wir dürfen keine Risiken bei der Energieversorgung eingehen. Der Strombedarf wird in Zukunft eher steigen als sinken. Die FDP stellt die Klimaschutzziele nicht in Frage. Aber wir können sie nicht mit Verboten und Quoten und Subventionen erreichen. Wir setzen auf Wettbewerb der Ideen und Technologieoffenheit, also eine ökologisch engagierte Marktwirtschaft.

Frage: Die FDP fordert eine Bildungsoffensive. Wie soll diese konkret aussehen?

Lindner: Der Bund muss Länder und Kommunen bei der Zukunftsaufgabe Bildung unterstützen. Die sind mit dem Ganztagsausbau und der Sanierung der Schulen, der Digitalisierung sowie der Lehrer-Qualifizierung schnell überfordert. Gerade in Zeiten der Schuldenbremse fehlen hier die finanziellen Spielräume. Wir brauchen auch einheitliche Bildungsabschlüsse in Deutschland. Der Bund sollte seine Hilfen aber an Qualitätsvorgaben knüpfen dürfen. Der Bildungsföderalismus in Deutschland muss reformiert, das Kooperationsverbot aufgehoben werden. Hier hoffe ich auf ein Umdenken von Herrn Seehofer und bei den Grünen von Herrn Kretschmann.