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FDP / KUBICKI-Interview: Wir werden 2019 Neuwahlen haben

14.01.2018

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki (Foto) gab der „Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag “ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Matthias Knecht.

Frage: In Deutschland wird die Große Koalition wohl fortgeführt, aber niemand ist richtig begeistert.

Kubicki: Es ist eine Koalition des Weiter-so. CDU/CSU und SPD haben sich in ihrem Sondierungspapier diese Woche auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt. Aber die inneren Fliehkräfte sind derart stark, dass ich nicht glaube, dass diese Koalition vier Jahre halten wird. Die Aversion gegen die Fortsetzung ist bei beiden Parteien sehr groß.

Frage: Ist das jetzt also der Anfang vom Ende der Ära Angela Merkel?

Kubicki: Definitiv. Die Ära Merkel neigt sich ihrem Ende zu. Ich glaube, dass wir im Jahr 2019 bereits Neuwahlen haben werden.

Frage: Das wäre in nicht einmal zwei Jahren!

Kubicki: Ja. Im Frühjahr, Sommer nächsten Jahres wird diese Koalition ihr Ende finden.

Frage: Zunächst steht die Delegiertenversammlung der SPD in einer Woche in Bonn an. Was wäre Ihnen lieber: ein Ja zum Beginn der eigentlichen Koalitionsgespräche? Oder ein Nein?

Kubicki: Das ist mir persönlich und den Freien Demokraten völlig egal, weil die Parteien, die sich da zusammengefunden haben, das vor ihren Wählerinnen und Wählern vertreten müssen. Aber ein Nein auf dem Parteitag oder bei der später vorgesehenen Mitgliederbefragung würde die gesamte Führungsriege der SPD desavouieren. Und ich glaube nicht, dass die SPD einen solchen Enthauptungsschlag führen wird.

Frage: Und das heißt?

Kubicki: Es wird eine große Koalition geben. Auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, den man finden kann.

Frage: Dieser umfasst immerhin 28 Seiten - das Ergebnis der Sondierungsgespräche.

Kubicki: Sie können auch 100 Seiten schreiben! Entscheidend ist ja nicht, wieviel Papier man verbraucht, sondern welche politischen Perspektiven sich daraus ergeben. Es ist ein Weiter-so.

Frage: Zum Beispiel?

Kubicki: Es gibt keine Bürgerversicherung. Nicht dass ich sie wollte. Aber es war für die Sozialdemokraten eigentlich unabdingbar. Bei der Frage der Flüchtlingspolitik hat sich die CSU mit ihrer Obergrenze definitiv durchgesetzt. Denn es sollen nun maximal 220.000 kommen. Besonders perfid ist die Frage des Familiennachzugs: Es soll nun ein Kontingent geben von 1000 Menschen, die pro Monat nachziehen können - allerdings verrechnet gegen die 1000 Flüchtlinge, die Deutschland aufzunehmen sich bereiterklärt hat.

Frage: Zusammengefasst hat die SPD also viele Forderungen nicht durchgebracht.

Kubicki: Das kann man sicher sagen. Durchgesetzt hat sie aber etwa die paritätische Finanzierung der Krankenkassenbeiträge durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Doch wenn man alleine das als Sieg verkaufen will, dann ist man aber wirklich arm dran.

Frage: Wer führt denn unter der Großen Koalition die Opposition im Bundestag?

Kubicki: Die Alternative für Deutschland (AfD) stellt zwar formal die größte Oppositionfraktion, aber wir werden wohl mit den Grünen darum ringen, wer die faktische Oppositionsführerschaft übernehmen wird. Ich bin sicher, dass FDP-Chef Christian Lindner und andere deutlich machen werden, dass wir das Feld der Argumentation beherrschen.

Frage: Heißes Thema in Deutschland ist ja das neu eingeführte Netzwerkdurchsetzungsgesetz, auch bekannt als Facebook-Gesetz. Warum ist das so problematisch?

Kubicki: Jetzt ist es ja so, dass man Facebook, Twitter und andere soziale Netzwerke dazu veranlasst, Meinungsäußerungen zu löschen, weil sie unter Umständen eine Beleidigung darstellen. Dann privatisiert man aber einen Teil der Strafrechtspflege. Das ist für die Freien Demokraten überhaupt nicht denkbar. Es ist einfach nicht akzeptabel, dass in einem Rechtsstaat die strafrechtliche Verfolgung faktisch vom Staat auf private Konzerne übergeht. Schon gar nicht an amerikanische.

Frage: Nun wird dieses unglückliche Gesetz auch virtuos von der AfD kritisiert. Ist das nicht ein Problem für die FDP?

Kubicki: Wenn die AfD gleiche Gedanken zu einem bestimmten Vorhaben hat, heißt das ja nicht unbedingt, dass es schlecht ist. Wir dürfen uns nicht auf das Spiel einlassen, jedesmal, wenn die AfD applaudiert, die Rede zu unterlassen. Denn dann reden wir nicht mehr im Deutschen Bundestag. Und übrigens: Auch die Grünen wollen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz abschaffen. Das hatten wir in den früheren Sondierungsgesprächen für eine Jamaica-Koalition auch versucht, gemeinsam durchzusetzen.

Frage: Eben. Nach den Wahlen im September gab es ja zuerst Gespräche zwischen Union, Grünen und FDP für eine so genannte Jamaica-Koalition. Doch die FDP brach die Sondierung im November ab. Bereuen Sie das nicht inzwischen?

Kubicki: Wenn Sie viereinhalb Wochen zusammensitzen, bis zu 14 Stunden täglich, und feststellen, dass Sie nicht zueinander kommen, was machen Sie da? Wir haben uns die Freiheit genommen, aus Verantwortung aufzustehen. Wir können nicht eine Politik mittragen, die wir für falsch halten. Was mich aber verwundert, dass diese neue Große Koalition, wenn sie denn zustande kommt, viele neue Dinge vereinbart hat, die FDP-Positionen entspricht. Doch uns hatte die Union das nicht zugestanden.

Frage: Zum Beispiel?

Kubicki: Beispiel nationale Klimaschutzziele 2020. Wir haben immer gesagt: Das ist zwar machbar. Aber nur, wenn wir Industriebetriebe schließen oder Fahrverbote verhängen. Wir sind aber nicht gewählt worden, um den Industriestandort Deutschland zu ruinieren oder die Menschen zu drangsalieren. Alleine darüber hatten wir dreieinhalb Tage mit der Union und den Grünen verhandelt, und die Kanzlerin hat immer wieder gesagt: Das ist machbar. Wir schaffen das. Da haben wir gesagt: Mit uns aber nicht. Nun gibt es die Große Koalition. Und da sagt die gleiche Kanzlerin: Wir stellen fest, das ist nicht machbar. Da wundern Sie sich schon, dass jemand, der eine Führungsfunktion in Deutschland hat, innerhalb von sechs Wochen seine Position um 180 Grad ändert.

Frage: Es wäre nicht das erste Mal, dass Frau Merkel ihre Meinung radikal ändert!

Kubicki: Ja. Das gleiche Problem hatten wir bei der Abschaffung des Kooperationsverbotes.

Frage: Könnten Sie das erklären?

Kubicki: Kooperationsverbot bedeutet in Deutschland: Der Bund darf den Ländern in der Bildungspolitik nicht hineinreden und sie auch nicht finanzieren. Um aber die Digitalisierung in den deutschen Schulen voranzutreiben, wollten wir das Kooperationsverbot aufheben. So könnte der Bund den Ländern 12 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Das wollten eigentlich alle, die Grünen, wir. Doch die Landesfürsten aus Baden-Württemberg, Bayern und Hessen legten sich quer. Da hat die Kanzlerin gesagt: “Ok, wir lassen das. Ich will keinen Stress.”

Frage: Frau Merkel hat das abgelehnt mit dem Argument, sie wolle keinen Stress?

Kubicki: Ja. Jetzt hat sie aber, wie auch beim Klimaschutz, genau das mit den Sozialdemokraten vereinbart. Da muss man zum Ergebnis kommen: Die Kanzlerin wollte die Jamaica-Koalition nicht. Sie wollte immer die Große Koalition. Die sie jetzt hat. Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, an denen Sie merken, ob jemand wirklich etwas will, oder ob er nur möglichst lange verhandelt. Und dann dem, der abbricht, die Schuld gibt.

Frage: Sie sind in Schleswig-Holstein Teil einer Jamaica-Koalition. Warum funktioniert dort, was Sie auf Bundesebene nicht hingekriegt haben?

Kubicki: Erstens: Die ganze Anlage der Gespräche in Berlin war kontraproduktiv. Wir haben in Schleswig-Holstein in einem sehr kleinen Kreis verhandelt. Denn da können Sie feststellen, ob Sie dem anderen vertrauen können und eine gemeinsame Linie finden. Das hat bei uns fast zehn Tage gedauert und war gut. Wenn aber diese vertraulichen Gespräche öffentlich geworden wären, wäre nie etwas zustande gekommen.

Frage: Das Zweite?

Kubicki: Zunächst die big points anzusprechen. Denn es nützt nichts, wenn Sie sich zuerst über Kleinigkeiten einigen. Wenn Sie feststellen: Wir können über alles offen reden, mit dem Ziel, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen, dann macht es Sinn, in Koalitionsgespräche einzutreten. Die waren dann hart, teilweise sehr kontrovers, doch es führte uns zu einem guten Ergebnis. Denn bei Koalitionsgesprächen bekommen Sie einen Effekt, den ich immer so als Trainingslager-Effekt beschreiben würde. Wenn die Verhandlungsgruppen lange Zeit zusammen sind, dann verteidigen sie auch das Ergebnis gemeinsam. Wir haben immer versucht, etwas Gemeinsames hinzubekommen. Also eine gemeinsame Regierung statt drei Regierungen in einer.

Frage: Was lief bei den gescheiterten Jamaica-Gesprächen in Berlin anders?

Kubicki: Das war eben darauf angelegt, drei Regierungen in einer zu machen. Oder auch vier, wenn wir die CSU mitrechnen. Zum Schluss hatte ich das Gefühl: Angela Merkel wirft 129 Kugeln auf den Tisch und sagt: Jeder nimmt sich, was er will.

Frage: Das ist jetzt überspitzt!

Kubicki: Das lief so! Damit kommen Sie aber nicht zu einem Ergebnis. Schließlich ist es immer auch wichtig, dass Sie vom anderen nichts verlangen, von dem Sie selbst wissen, dass er es nicht liefern kann. Auch das ist eine vertrauensbildende Maßnahme. Es ergibt keinen Sinn, die Gegenseite an die Wand nageln zu wollen. Niemand darf hinausgehen und das Gefühl haben, er sei Gewinner oder Verlierer. Allein die Erklärung, man habe 60 Prozent durchgesetzt, ist schon unsinnig. Denn darum geht es gar nicht.

Frage: Sondern?

Kubicki: Wie komme ich zu einer gemeinsamen Linie.

Frage: Wäre das ein Szenario im nächsten Jahr, wenn nach Ihrer Prognose die Groko zerbricht und es Neuwahlen gibt? Sehen Sie dann eine Chance für eine solche teambildende Koalitionsverhandlung?

Kubicki: Grundsätzlich ja, zumal es bei den anderen Parteien eine neue Führung geben wird. Bei den Grünen gebe ich Robert Habeck gute Chancen, was ich sehr begrüßen würde. Bei der CSU werden die neuen starken Männer Söder und Dobrindt sein. Seehofer wird keine Rolle mehr spielen. Und bei der Union werden wir sehen, dass es nach Neuwahlen nicht mehr Angela Merkel sein wird. Dann sehen wir, was kommt.

Frage: Die FDP ist im September spektakulär in den Bundestag zurückgekehrt.

Kubicki: Aus Ihrer Sicht! Für mich war das ein Selbstläufer.

Frage: Was war der Hauptgrund?

Kubicki: Das Auftreten der Freien Demokraten hat sich geändert und das Selbstbewusstsein, nachdem wir die Krise einer außerparlamentarischen Opposition überwunden hatten. Übrigens ist trotz des Bashings in den letzten Wochen die FDP in den Meinungsumfragen nicht dramatisch abgestürzt. Wir sind etwa bei der Größenordnung, die wir in der Woche vor der Bundestagswahl hatten.

Frage: Sie treten jetzt an Zürichs Goldküste auf, vor dem Ortsverein Meilen, der das 100-jährige Jubiläum feiert. Haben Sie eine besondere Botschaft der deutschen Liberalen an ihre Schweizer Parteifreunde?

Kubicki: Ich würde mich als Schweizer Liberaler dagegen wehren, dass jemand, der aus dem Ausland kommt, mir eine frohe Botschaft bringt. Außer der, dass ich den Freien Demokraten in der Schweiz alles Glück der Welt wünsche, stärker zu werden als gegenwärtig. Gerade bei einer Geschichte von 100 Jahren muss man sagen: Wer etwas bewahren will, muss sich verändern.

Frage: Was denn?

Kubicki: Die Herangehensweise. Man muss den Fortschritt stärker umarmen - soweit ich das von außen beurteilen kann. Ich habe kürzlich in der “NZZ am Sonntag” gelesen, auf Seite 1, dass der Kanton Zug Herausragendes geleistet hat, dass selbst aus dem Silicon Valley Forscher in die Schweiz kommen. Da können Sie den Unterschied sehen! Eine solche Seite 1 hätten Sie auf keiner deutschen Zeitung gesehen. Wir beschäftigen uns lieber mit der Frage, ob im Sandkasten noch genügend Förmchen für alle liegen, statt uns mit der Zukunft zu beschäftigen.

Frage: Aber nochmals: Sie treten in Meilen auf und damit in Sichtweite von Herrliberg, wo Christoph Blocher lebt. Haben Sie einen Ratschlag, wie man mit der populistischen Konkurrenz umgeht?

Kubicki: Die Schweiz ist umgeben von EU-Staaten und pocht trotzdem auf ihre Eigenständigkeit, was ich sehr gut nachvollziehen kann. Trotzdem würde ich sagen: Man kann ein Land nur dadurch positiv verändern, dass es sich öffnet. Das ist meine Botschaft an Herrn Blocher. Man hilft der Schweiz überhaupt nicht, wenn man versucht, die Grenzen zu schließen.

Frage: Sie sind ja Experte für Steuerstrafrecht. Der Umstand, dass man als Deutscher sein Geld nicht mehr so leicht in der Schweiz verstecken kann, ist das für Sie von Vorteil oder von Nachteil?

Kubicki: Für mein Einkommen von Nachteil, aber für meine Überzeugungen von Vorteil. Denn ich glaube, kein Land darf sich zum Handlanger krimineller Aktivitäten anderer machen.