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Gesundheits News: Arzneimitteltherapie hat Sicherheitslücken

9. Juli 2018

BARMER-Arzneimittelreport 2018

Berlin, 9. Juli 2018 – Laut aktueller Analyse der BARMER hat jeder fünfte Bundesbürger im Jahr 2016 fünf oder mehr Arzneimittel eingenommen. Je mehr Medikamente eine Patientin oder ein Patient einnimmt, desto unsicherer wird jedoch die Arzneimitteltherapie aufgrund der zu erwartenden Wechselwirkungen. Dass es vermeidbare Risiken gibt, belegt der BARMER-Arzneimittelreport 2018, der heute in Berlin vorgestellt wurde. „Angesichts der Sicherheitslücken in der Arzneimitteltherapie geht es nicht um Schuldzuweisungen in Richtung Ärzte. Fehlende Verfügbarkeit wichtiger Informationen für Behandlungsentscheidungen, Sprachbarrieren oder unvollständige Medikationspläne können zu vermeidbaren Risiken bei der Arzneimitteltherapie führen. Die Patientinnen und Patienten müssen besser vor diesen Risiken geschützt werden“, forderte der Vorstandsvorsitzende der BARMER, Prof. Dr. Christoph Straub. Es sei enorm schwierig für Ärzte, den Überblick zu behalten. Aus diesem Grund habe die BARMER gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe das Projekt „AdAM“ (Anwendung für digital unterstütztes Arzneimitteltherapie-Management) ins Leben gerufen, um Hausärzte bei ihrem Arzneimitteltherapie- und Versorgungsmanagement zu unterstützen.

Jeder fünfte ab 65 erhält ein für ihn ungeeignetes Arzneimittel

Verdeutlicht werde das Ausmaß des Problems der sogenannten Polypharmazie laut Report durch die Tatsache, dass bundesweit rund 5,4 Millionen Menschen an drei chronischen Erkrankungen leiden, bei 23,3 Millionen Menschen sind es sogar fünf oder mehr. Zwei Drittel der BARMER-Versicherten mit einer Polypharmazie seien im Jahr 2016 durch drei oder mehr Ärzte medikamentös behandelt worden. Der Schutz vor vermeidbaren Risiken in der Arzneimitteltherapie gelingt den Reportergebnissen zufolge nicht immer. Jeder vierte BARMER-Versicherte ab 65 Jahren erhielt im Jahr 2016 ein von Experten nicht für diese Altersgruppe empfohlenes Arzneimittel (25,9 Prozent). Ein Beispiel ist Methotrexat, ein Arzneistoff für die Krebs- und Rheumatherapie. Allein mehr als 1.400 BARMER-Versicherte erhielten das Mittel, obwohl es bei diesen Patienten wegen gleichzeitig stark eingeschränkter Nierenfunktion nicht eingesetzt werden dürfte.

Ärzte können kaum noch den Überblick bewahren

Teil des Problems ist die Unübersichtlichkeit möglicher Varianten bei der Arzneimitteltherapie. Ohne Hilfe ist es für Ärzte kaum noch möglich, den Überblick zu bewahren. Die Reportergebnisse belegen für das Jahr 2016, dass Hausärzte im Durchschnitt 60 Arzneimittelwirkstoffe regelmäßig, also mindestens einmal im Quartal, und weitere 100 zumindest einmal pro Jahr verordneten. „Hausärzte müssen die Gesamtmedikation ihrer Patienten, also auch die von Fachärzten verordneten Arzneimittel, beurteilen. Dass der Arzt hier die Risiken ohne Hilfsmittel immer korrekt einschätzen kann, ist schlichtweg nicht realistisch. Im Gegenteil, im Versorgungsalltag ist es für Ärzte oft ausgesprochen schwierig, über alle Arzneimittelverordnungen einer Patientin oder eines Patienten Bescheid zu wissen“, betonte der Autor des BARMER-Arzneimittelreports Prof. Dr. Daniel Grandt, Chefarzt am Klinikum Saarbrücken. Im Jahr 2016 seien bei der BARMER insgesamt 1.860 Arzneimittelwirkstoffe zum Einsatz gekommen und zwar in 454.012 Kombinationen von zwei Arzneimittelwirkstoffen. Kein Arzt könne die Risiken derartig vieler Arzneimittelkombinationen ohne Hilfsmittel korrekt einschätzen.

AdAM schafft Arzneimitteltherapiesicherheit für Patienten

Die BARMER habe, so Grandt, zur Unterstützung der Ärzte daher zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe eine neue Versorgungsform entwickelt, die diese Probleme lösen könne. Mit AdAM, kurz für „Anwendung für digital unterstütztes Arzneimitteltherapie-Management“, ließen sich vermeidbare Risiken besser erkennen. Hausärzte erhalten Daten zur Arzneimitteltherapie, die Verordnungen aller Ärzte umfassen. Somit würde die Übersicht deutlich erleichtert. Zusätzlich erhalte der Arzt Hinweise auf potenziell vermeidbare Risiken der Therapie, um für seine Patienten die richtige und sicherste Therapie festzulegen. Ziel sei es, so Grandt, das Projekt in die Regelversorgung zu übernehmen, damit mehr als 20 Millionen Polypharmazie-Patienten davon profitieren können. AdAM wird mit circa 16 Millionen Euro aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses gefördert.

Daten aus dem BARMER-Arzneimittelreport 2018

Arzneimittelausgaben: Die Arzneimittelausgaben sind im Jahr 2017 um vier Prozent pro Versicherten im Vergleich zum Jahr 2016 gestiegen. Von dem Jahr 2015 zu 2016 betrug der Ausgabenanstieg pro Versicherten 5,2 Prozent. Der Anstieg ist bei weiblichen Versicherten mit 4,3 Prozent größer als bei männlichen, bei denen die Ausgaben um 3,6 Prozent gestiegen sind. Der Anstieg der Arzneimittelausgaben ist zu etwa 85 Prozent auf eine Kostensteige­rung und nur zu 15 Prozent auf eine zahlenmäßige Steigerung verordneter Arzneimittel zurückzuführen (im Report Seite 24). Die Ausgaben für Arzneimittel (einschließlich Rezepturen) lagen im Jahr 2017 für weibliche BARMER-Versicherte bei 661 Euro, für Männer bei 612 Euro. Das ergibt Durchschnittsausgaben von 640 Euro (Seite 25). In den Jahren 2010 bis 2017 sind die Ausgaben für Fertigarzneimittel (ohne Rezepturen) um 24,6 Prozent gestiegen, von 3,89 Milliarden Euro auf 4,83 Milliarden Euro (Seite 26).

Konzentrationseffekt: Der Effekt, dass eine immer kleinere Gruppe von Versicherten die Hälfte aller Arzneimittelausgaben auf sich konzentriert, verstärkt sich weiter. Während diese Gruppe im Jahr 2010 noch 4,56 Prozent aller Versicherten umfasste, waren es im Jahr 2017 nur noch 2,7 Prozent. Berücksichtigt man auch die Rezepturen, sind es sogar nur 1,9 Prozent. Für ein Prozent aller Versicherten werden 40 Prozent aller Arzneimittelausgaben benötigt. Verursacht wird dieser Trend durch neue hochpreisige Arzneimittel, deren Kosten pro Jahr und Patient häufig über 100.000 Euro liegt (Seite 42).

Regionale Verteilung: Betrachtet man die Ausgaben für die Arzneimitteltherapie, so zeigen sich Unterschiede von mehr als 25 Prozent bezüglich der durchschnittlichen Kosten einer Tagesdosis (DDD). Die Gesamtausgaben pro Versicherten ergeben sich bei kombinierter Betrachtung von Kosten pro DDD und Anzahl verordneter Tagesdosen pro Versicherten. Dass pro Versicherten in Sachsen 69 Prozent mehr für Arzneimittel ausgegeben werden als in Bremen, ist im Wesentlichen auf die unterschiedliche Altersstruktur der BARMER-Versicherten in den Regionen zurückzuführen. In absoluten Zahlen lagen die Ausgaben in Sachsen im Jahr 2017 bei 816 Euro, in Bremen bei 483 Euro