Vom Wert einer Freundschaft in bewegten Zeiten und ihr
tragisches Ende
Rezension von
Uta Luise Zimmermann-Krause
In diesem Jahr wird dem einhundertfünfzigsten
Geburtstag von Karl Wolfskehl gedacht. Die Herausgabe seines Briefwechsels mit
Stefan George in „Von Menschen und Mächten – Stefan George, Karl und Hanna
Wolfskehl – Der Briefwechsel 1892 - 1933“, erschienen im Verlag C.H.Beck,
gewährt Einblicke in das Leben der Dichterfreunde. Wolfskehl verkörpert eine
ganze Epoche deutsch-jüdischer Geschichte. Seine Themen sind deutsche Heimat
und jüdische Verwurzelung, denen die Unbegreiflichkeit von Ausgrenzung,
Vertreibung und Exil gegenübersteht. Darüber hinaus beeinflussten damals seine
unveröffentlichten Gedichte seine Freunde in Deutschland, die im Geheimen über
die Schweiz davon Kenntnis bekommen haben. „Mein Judentum und mein Deutschtum,
ja mein Hessentum – das sind keine biologischen Antagonismen, es sind Ströme
einander befruchtenden Lebens“, erklärte Wolfskehl seine ungeheure Empörung
über die Machtergreifung Hitlers. Karl Wolfskehl hat sich über den Charakter
des Regimes nichts vorgemacht. Während andere seiner Freunde, vornehmlich aus
dem Georgekreis, noch abwarteten, reiste er am Tage der Machtergreifung über
Basel erst ins italienische, 1938 ins neuseeländische Asyl, ins Antithule, wie
er die Insel am entgegengesetzten Teil der Erde nannte, so weit von Deutschland
weg wie irgendwie möglich. Zu seinen nahestehenden Freunden zählte Stefan
George, der ab 1882 selbstständig Italienisch, Hebräisch, Griechisch, Latein,
Dänisch, Niederländisch, Polnisch, Englisch, Französisch und Norwegisch
nebenbei lernte, um fremde Literaturen im Original lesen zu können. Seine
Sprachbegabung veranlasste ihn auch, mehrere Geheimsprachen zu entwickeln. 1896
fand Wolfskehl Genesung in einer Nervenkur.
In einem Brief an Stefan George versprach er diesem
Ferrareser Gemüse und eine Ferrareser Schokoladentorte in Berlin zu servieren.
Im Briefwechsel tauschen sich die beiden Literaten und Herausgeber der „Blätter
für die Kunst“ und „Jahrbuch für die geistige Bewegung“ über Möglichkeiten und
Realitäten von Geldbeschaffung und Bezahlung ihrer Journale aus. Auch Honorare
und Geldmangel sind ein ewiges Thema. In Zeiten wie diesen spüren sie
unendliche Vertrautheit, so dass Wolfskehl dem George mitteilt: „…Mir geht´s schlecht. Ich komme immer weniger
über mich hinaus. Und ich bin müde. Ich werde in bälde paktieren und werde wie
die andern. Es war nichts für mich. An der Tafel des Lebens wollte ich oben
sitzen, gleich beim Thaliarchen.“ An anderer Stelle beklagen die Dichter
den gesellschaftlichen Verfall. Immerhin bemühte sich die Königin von Rumänien sehr
lebhaft um die Erlangung der Gedichte von George. Man scheute sich
einigermaßen, vertraute Mitteilungen in die Post zu geben, die ohnehin
unzuverlässig war bei der Zustellung an den Empfänger. Stefan Georges Ziel war,
die deutsche Lyrik von Grund auf zu erneuern, und Karl Wolfskehl als treuesten
Helfer an seiner Seite zu wissen. Doch Wolfskehl entwickelte sich dadurch
selbst vom Philologen zum eigenständigen Dichter. Seine Frau Hanna pflegte über
viele Jahre ein vertrautes Verhältnis zu George, wie ihre Briefe wissen lassen.
Vom 27. bis zum 30. März 1915 besuchte Hanna Wolfskehl ihren ehemaligen
Studienkollegen Walter Wenghöfer in Magdeburg. Seit dem Studium in München ist
sie diesem in einem regen Briefwechsel sehr verbunden. Wenghöfer jedoch suchte sechs
Wochen vor Ende des Ersten Weltkriegs den Freitod in der Elbe. Auch Klagen
wegen verletzter Urheberrechte wurden im Kreis der Dichter geführt – und
gewonnen. Urheberrechte spielten schon bei den Dichtern der Antike eine Rolle.
Diese Edition enthält eine 868 Stücke umfassende
Korrespondenz zwischen Stefan George sowie Karl und Hanna Wolfskehl und
spiegelt die Zeit zwischen 1892 und 1933 wider im Sinne des Literaturgeschehens
sowie politischer Ereignisse, die letztlich Wolfskehl zur Emigration ans andere
Ende der Welt zwangen. Auf dem Fluchtweg durch die Schweiz erlitt Wolfskehl bei
einem Sturz auf einer Steintreppe im Tessin schwerste innere Verletzungen an
Lunge und Nieren. Und nur wenige Wochen später diktiert Stefan George, der an
einer Blasenentzündung litt, seiner Schreiberin kurz vor seinem Tod: „…Ich
bitte also auf nachrichten zu warten. Mit herzlichen erinnerungen im auftrag
von d. M.“ d.M. =der Meister, wie Wolfskehl seinen Dichterfreund George in
tiefer Verbundenheit nannte. Wer mehr wissen möchte über zwischenmenschliche
Verbundenheit in bewegten Zeiten, dem sei das Buch „Von Menschen und Mächten –
Stefan George, Karl und Hanna Wolfskehl – Der Briefwechsel 1892 - 1933“ an die
Hand empfohlen.
Von Menschen und Mächten – Stefan George,
Karl und Hanna Wolfskehl – Der briefwechsel 1892-1933.
880 Seiten, gebunden, Hardcover, Schutzumschlag,
39 Abbildungen, Verlag C.H.Beck, München, 2015
ISBN 978-3-406-68231-5
Preis: 49,95 EUR