header-placeholder


image header
image
Christian Lindner  Martin Rulsch  1

LINDNER-Interview: Der Aufbruch geht mit Merkel nicht

29. Juli 2018

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner (Foto) gab der „Bild am Sonntag“ (Sonntag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Roman Eichinger und Burkhard Uhlenbroich.

Frage: Herr Lindner, die Große Koalition steckt in der Dauerkrise. Haben Sie kein schlechtes Gewissen, dass Sie uns diese Regierung eingebrockt haben?

Lindner: Wieso? Die Krise der Koalition ist doch ein Konflikt zwischen CDU und CSU, zwischen Frau Merkel und Herrn Seehofer. Das war schon letztes Jahr spürbar. Daran hätte Jamaika mit FDP und Grünen nichts geändert.

Frage: Jamaika wäre genauso chaotisch verlaufen?

Lindner: Schlimmer. Das zeigen die Anfeindungen zwischen Grünen und CSU. Dabei wurde der Öffentlichkeit im Herbst noch weisgemacht, man sei so nah zusammen. Wir fühlen uns bestätigt. In dieser Konstellation und mit dieser Kanzlerin ist der nötige Aufbruch für Deutschland nicht erreichbar.

Frage: Bedauern Sie es, dass sich Horst Seehofer mit Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze nicht durchgesetzt hat?

Lindner: Ja, denn dazu raten wir seit Januar 2016. Herr Seehofer hat Krawall gemacht, aber null erreicht. Deutschland sollte zeitweilig zur alten Praxis zurückkehren. Das wäre ein Signal an Europa und die Voraussetzung für eine gemeinsame Lösung. Das Ziel müssen europäische Verfahren, vergleichbare Sozialstandards und kontrollierte Außengrenzen sein. Deutschland kann nicht länger die Hauptlast tragen. Bei der CSU vermute ich aber, dass die generelle Grenzschließungen mit Schlagbäumen wollen. Die kuscheln mir nämlich zu oft mit Ungarns Regierungschef Viktor Orban. Wir orientieren uns lieber an Frankreichs Präsident Macron. 

Frage: Hat die Große Koalition aus Ihrer Sicht irgendetwas gut gemacht?

Lindner: Ja, die Klimaziele sind jetzt realistischer. Aber leider fehlt es an Marktwirtschaft in der Energie- und Klimapolitik, um diese effizient zu erreichen. Es fehlt generell Mut. Wir sind in Europa isoliert. Der Staat schwimmt im Geld, die Regierung will trotzdem auch noch den Solidaritätszuschlag behalten. Wir leisten uns 16 Schulsysteme statt den Bildungsföderalismus zu reformieren. Es gibt kein Digitalministerium, sondern eine Rentenreform, die uns im nächsten Jahrzehnt um die Ohren fliegen wird.

Frage: Und schuld an allem ist für Sie Angela Merkel?

Lindner: Frau Merkel hat meinen persönlichen Respekt. Aber im 13. Jahr ihrer Kanzlerschaft ist sie politisch erschöpft. Sie wagt nichts Neues mehr. Die Dinge sind festgefahren. 

Frage: Der Rücktritt von Mesut Özil hat eine Integrationsdebatte ausgelöst. Özil sagt: "Wenn ich gewinne, bin ich Deutscher, wenn ich verliere, Immigrant." Gibt es Probleme mit Rassismus in Deutschland?

Lindner: Ja, es gibt Probleme mit Rassismus im Alltag. Wenn gut ausgebildete Menschen seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden, nur weil ihre Eltern oder Großeltern vor Jahrzehnten aus der Türkei gekommen sind, ist das eine Diskriminierung. Bei Özil ging es aber um Kritik an einem Fußballer, der Werbung für den Schöpfer einer Präsidialdiktatur in der Türkei gemacht hat. Man hört zu oft, dass Teile der deutsch-türkischen Community freiheitliche Werte nur gering schätzen. Das zeigt die Zustimmung zu Erdogan. Es gibt also ein doppeltes Problem - bei den Einheimischen und bei Zugewanderten.

Frage: Was müssen wir tun?

Lindner: Wer zu uns kommt, muss das Gefühl haben, Deutschland kann auch sein Land werden. Wenn ich mich an die Regeln halte, wenn ich Toleranz nicht nur von anderen fordere, sondern selbst lebe, wenn ich etwas leisten will, dann ist es der Gesellschaft egal, welche kulturelle, religiöse oder ethnische Herkunft ich habe.

Frage: Was wollen Sie konkret ändern?

Lindner: Wir brauchen ein weltoffenes Einwanderungsgesetz, ein neues Staatsangehörigkeitsrecht und ein republikanisches Leitbild der Integration. Zuwanderer sollten Rechte, aber auch Pflichten und Erwartungen kennen. Integration sollte mit der Einbürgerung gekrönt werden. In der ersten Generation gerne auch mit zwei Pässen, aber in der Generation der Enkel sollte das enden. In Ämtern neue Kreuze an die Wand zu hängen wie in Bayern, kann dagegen als Abschottung missverstanden werden. So schreckt man die Talente ab, die wir in der Wirtschaft als qualifizierte Einwanderer brauchen.

Frage: Was sind die dringendsten Maßnahmen beim Thema Migration?

Lindner: Die Grünen müssen endlich ihre Blockade aufgeben, Tunesien, Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Die Farce um den früheren Bin-Laden-Leibwächter Sami A. hätte man sich dann sparen können. Individuell Schutzbedürftigen könnte man dennoch helfen. Das dringende Thema Migration darf nicht länger alle anderen Fragen verdrängen. Nach der Sommerpause sollte es daher einen deutschen Migrationsgipfel von Bund, Länder und Gemeinden geben, um die offensichtlichen Mängel im Management zu beheben.

Frage: Sie meinen, wir sollen uns alle etwas abregen?

Lindner: Ja, es ist alles überreizt. Wir laufen Gefahr in einer verprollten, vertrumpten Demokratie zu leben - das will ich nicht. Inhaber höchster Staatsämter nutzen Pegida-Vokabular, wodurch die politische Kultur verroht. Es verdient Respekt, dass Herr Söder das inzwischen eingeräumt hat. Zugleich wird völkisches und autoritäres Denken salonfähig. Dagegen muss man sich wehren. Leider schießen die Berufsempörten der Republik dabei oft so über das Ziel hinaus, dass sie das Gegenteil erreichen. 

Frage: Was meinen Sie damit?

Lindner: Wer reale Probleme bei der Zuwanderung anspricht, wird von linken Trollen in Sozialen Medien als Rassist gebrandmarkt. Die Wochenzeitung "Die Zeit" hat eine eigene Redakteurin an den Pranger gestellt, die auftragsgemäß über das moralische Dilemma der Mittelmeer-Rettung geschrieben hat. Millionen Menschen finden sich in der öffentlichen Debatte nicht wieder. Wenn die von rechter Pöbelei und linkem Shitstorm geprägt wird, dann verliert die politische Mitte ihre Heimat. 

Frage: Aber die Regierung sorgt doch für höhere Renten und das Baukindergeld.

Lindner: Das sind Subventionen und eine undurchschaubare Umverteilungspolitik. Die Groko macht aus unserem Staat ein Tag und Nacht arbeitendes Pumpwerk des Geldes. Millionen Menschen in der Mitte erwarten kein Taschengeld, sondern Fairness und Leistungsgerechtigkeit. Bei aller Kritik, in den USA hat Trump den Mensch das Vorankommen durch Bürokratieabbau und Steuersenkungen erleichtert. Das sichert ihm Zustimmung. 

Frage: Sie sehen Trump als Vorbild?

Lindner: Nein, wir orientieren uns an Frankreich. Der vernünftigen, ambitionierten Politik von Macron fühlen wir uns verbunden. Auch in Europafragen stehen wir der Bewegung „En marche“ nah, wenn ich von den Vorschlägen zur Währungsunion absehe. Da halten wir wie die Mehrheit der Euro-Mitgliedstaaten an finanzpolitischer Eigenverantwortung fest. Eine verstärkte Zusammenarbeit der progressiven Kräfte könnte die Alternative zum Populismus sein, denn Christdemokratie und Sozialdemokratie sind in Europa beide in der Defensive. Darüber wird gerade gesprochen. Letzte Woche war ich in Madrid, Dienstag bin ich in Paris.

Frage: Also brauchen wir in Deutschland mehr Macron und weniger Merkel?

Lindner: Jeder andere Regierungschef wäre fortschrittlicher als Frau Merkel. Das hat einfach mit der Länge der Amtszeit zu tun. Inzwischen bin ich dafür, die Amtszeit von Regierungschefs in Deutschland auf acht oder zehn Jahre zu begrenzen.

Frage: Diese Woche haben Sie in Bayreuth Ihre neue Lebensgefährtin präsentiert. Haben Sie sie auch der Kanzlerin vorgestellt?

Lindner: Dazu gab es keine Gelegenheit. Wir haben uns nur aus der Entfernung zugewunken.

Frage: Planen Sie mit Ihrer Freundin einen ersten gemeinsamen Urlaub?

Lindner: Ja, jetzt bald geht es los.