header-placeholder


image header
image
Online Geschichte Dicki Maus

Lucy & Dicki, Teil 2 – Eine Geschichte von Annemarie Stern aus Haldensleben

Dicki, der jagdfaule Kater

19. August 2018


Eine Geschichte von Annemarie Stern

Da stand er eines Morgens vor mir auf dem Hof. Er sah mich mit seinen großen Katzenaugen anklagend an und miaute zum Herzerweichen. Ich zögerte zuerst. Mein Mann und ich hatten vereinbart, dass wir nach dem Tod unserer Katze kein Tier mehr haben wollten. Aber sein Klagen war sehr rührend. Ich sagte zu ihm: „Ich bringe dir jetzt ein Schälchen Milch und Wasser. Aber dann gehst du wieder nach Hause. Unser Haus wirst du nicht betreten!“ Aber es kam, wie es kommen musste. Das namenlose Katerchen wartete jeden Nachmittag geduldig auf mich, bis ich von der Arbeit kam. Dann umschmeichelte er laut schnurrend meine Beine und begrüßte mich. Da konnte ich einfach nicht widerstehen. Ich fütterte ihn weiter am überdachten Steintritt, der in unser Heim führte. Wenn ich dann ins Haus ging, sah er mich anklagend und enttäuscht mit seinen bernsteinfarbenen Augen an. Unter unserem Steintritt ist von unserem Vorgänger eine Hundehütte gebaut worden. Da stellte ich ihm ein ausgepolstertes Körbchen hinein. Wahrscheinlich roch es in der Behausung immer noch stark nach Hund, jedenfalls ging er in diese Unterkunft nur selten. 

Eines Tages dann, es regnete Strippen, setzte er nach dem Füttern vorsichtig eine Pfote auf die unterste Treppenstufe und sah mich an. Als von mir kein lautes „Nein“ kam, huschte er eilig und sehr glücklich die restlichen Steinstufen rauf und betrat noch vor mir den Hausflur. Er hob witternd seinen Kopf und inspizierte vorsichtig das ganze Haus. Dann ging er zielstrebig in die Küche, und plumpste auf den gepolsterten Küchenstuhl. Er rollte sich zu einer Kugel zusammen und sein Schnurren übertönte selbst unser Küchenradio! Mein Mann war auch sehr froh, dass wir wieder einen Schmusekater hatten. Ja, und so hatten wir wieder einen Kater – nein, nein – keine Katze! Wir nannten ihn Dicki.

Und er war wirklich ein richtiger Schmusekater. Wenn ich mich zum Fernsehen in den Sessel setzte, nahm er Anlauf und sprang mit einem gewaltigen Satz auf meinen Schoß. Von dort aus kletterte er vorsichtig nach oben und legte sich wie ein Pelzkragen um meinen Hals. Er schnurrte mir ins Ohr, so dass ich oft nur Bruchstücke der Fernsehsendung verstand. Dann schmuste und schnurrte er unaufhörlich. Er putzte mich, machte mich nach Kater-Art schön.

Doch der Stuhl in der Küche blieb sein Lieblingsplatz. Wenn er dort lag, störte ihn nichts. Nicht mal eine Maus konnte ihn von dem Stuhl locken. Eines Tages, ich war beim Gemüseputzen, sah ich einen Mauseschwanz, der unter unserer Einbauküche hervorlugte. Er bewegte sich langsam in Richtung Herd und ich rief: „Hey Dicki! Ein Mäuschen, da! Fang es!“ Aber Dicki öffnete nur ein Auge, blinzelte zum Mauseschwanz, sah mich mitleidig an und schloss sein Auge wieder. Ich sagte zu ihm: „Du bist ein ganz fauler Kater. Du willst das Mäuschen nicht fangen? Das wollen wir doch mal sehen!“ Ich griff ihn am Schlafittchen und trug ihn zu dem sich bewegenden Mauseschwanz. Dicki war richtig empört. Er blieb störrisch vor dem Mauseschwanz sitzen. Er schnüffelte nicht mal dran! Er quäkte mich nur klagend an, schaute nicht einmal dem entschwindenden Mauseschwanz hinterher. Verließ ich aber die Küche, dann lief er mir sofort nach. 

Er begleitete mich sogar bis zum Einkaufsmarkt, der nur eine kurze Fußstrecke von unserem Haus entfernt war. Dort blieb er geduldig sitzen, bis er mich wieder erblickte. Dann trottete er glücklich neben mir her, bis wir wieder zu Hause waren. Ich scheuchte ihn anfangs immer wieder zum Haus zurück, sperrte ihn auf dem Hof ein. Denn ich war sehr besorgt, dass er von einem Auto überrollt werden könnte. Aber er lief „bei Fuß“ neben mir her, bis wir wieder zu Hause waren. Dann wollte er mit einem Häppchen Hackepeter belohnt werden. Unser fauler Kater wurde dann sehr lebendig. Er sprang in die Höhe, bis er seinen Leckerbissen erbeutet hatte. Dieses Spiel mochte er sehr.

Morgens begleitete er mich bis zum Bus. Und er beobachtete mit weit aufgerissenen Augen, wie dieses stinkende und dröhnende Ungeheuer die Menschen verschluckte. Auch mich! Er sah mir nach, wenn ich zur Arbeit fuhr. Auch daran gewöhnte ich mich schweren Herzens. Denn die Straße war sehr befahren und eines Tages erwartete mich kein Schmusekater! Wir waren sehr in Sorge. Laut „Dicki“ rufend, lief ich viele Abende durch die verwaisten Straßen unseres kleinen Ortes. Aber kein Dicki kam miauend zu mir und umschnurrte meine Waden! Mein Mann und ich, wir waren beide sehr traurig, dass unser Katerchen nicht nach Hause gekommen war. Wir vermissten ihn sehr. Er hatte sich in unsere Herzen geschmeichelt und war für uns zu einem wichtigen Teil unseres Familienlebens geworden. 

Nach fünf Tagen lag unser Dicki wieder vor unserem Haus unter dem Heidelbeerbusch. „Dicki!“, rief ich glücklich. „Wo warst du denn die ganze Zeit?“ Ich ging die Steinstufen zum Haus empor, aber kein Dicki folgte mir. Er brach jammernd unter dem Busch zusammen. Erschrocken nahm ich ihn vorsichtig auf den Arm, brachte ihn in die Küche und setzte ihn auf seinen Lieblingsstuhl. Dann hielt ich ihm ein Schälchen Wasser hoch und er trank  gierig. Ich rief unseren Tierarzt an, der Dicki untersucht und geimpft hatte, als er als Findelkind in unser Haus gekommen war. Der Tierarzt sagte zu uns: „Der Kater ist bestimmt in eine Falle geraten. Er hat sich beim Befreien den Oberschenkel gebrochen. Entweder einschläfern oder mindestens sechs Wochen in eine ganz enge Kiste setzen, damit der Oberschenkel wieder zusammenwachsen kann. Eine Operation würde circa 500 bis 800 Euro kosten. Melden Sie sich, wenn ich Ihnen helfen soll.“ Also baute mein Mann eine ganz enge Kiste, die wir mit einem Gitter oben verschlossen. Mein Herz wurde immer schwerer. Jedes Mal wieder sah er mich unter Schmerzen an, wenn ich ihn fütterte und in sein Katerklo setzte. Mir schmolz das Herz. Ich sagte zu meinem Mann: „Ich würde Dicki gern operieren lassen. Dieses Elend kann ich keine sechs Wochen ertragen. Dann würde ich lieber mit meiner Zahnkrone noch warten. Das wäre ungefähr die gleiche Summe, die eine Operation kosten würde.“ Und so packten wir Dicki in eine Katzenbox und fuhren mit ihm nach Magdeburg in die Tierklinik. Er schrie während der ganzen Fahrt und kackte vor Angst in die Box. Wie das stank! Aber er wurde operiert. Der Oberschenkelhals war gebrochen. Er wurde echt versilbert. Er bekam als Stützen drei Silberdrähten und so wurde der Knochen wieder stabilisiert. Als wir ihn am nächsten Tag abholen kamen, humpelte er taumelnd auf uns zu. Und dann ging es ihm von Tag zu Tag wieder besser. 

Eines Tages wollte er auf den Aschenkübel springen, um auf unserem Torsockel Platz zu nehmen. Mann waren wir glücklich, dass es unserem Schmusekater wieder gut ging! Ja, wer ein Tier als Hausgenossen hat, übernimmt auch automatisch die Verantwortung für sein Wohlergehen. Und der Mensch wird von seinem Tier dafür bedingungslos geliebt.