21. August 2018
Der Wirtschaftsrat Sachsen-Anhalt begrüßt die Einsetzung der Kommission für
Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung. Die Strukturkommission bietet die
Chance die Anforderungen für ein wettbewerbsfähiges Industrieland
Sachsen-Anhalt auf die politische Agenda zu setzen.
Die klimapolitischen Vorgaben der Bundes- und der Landesregierung
Sachsen-Anhalt gehen weit über die Zielsetzungen der Europäischen Union hinaus.
Mit der Vorgabe für die Strukturkommission, bis zum Jahresende ein
Ausstiegsdatum für die Kohleverstromung zu benennen, wird der klimapolitische
Sonderweg fortgesetzt, statt den EU-Emissionshandel als Leitinstrument des
Klimaschutzes zu stärken. Vertragspartei des Pariser Klimaabkommens ist allein
die EU und nicht die Bundesregierung oder die sachsen-anhaltinische
Landesregierung. Alle, im Lichte der Strukturkommissionen vorab diskutierten
nationalen und bundesländerspezifischen Maßnahmen die über die Vorgaben des
Europäischen Emissionshandel hinaus gehen, drohen dafür zu sorgen, dass die
Energiewirtschaft überproportional zu den europäischen Zielen der CO2-Minderung
beitragen muss. Die daraus entstehenden Mehrkosten wird sie an die Industrie
weitergeben müssen. Dies geht auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit der
Industrie.
Anfang der 90er Jahre hat Sachsen-Anhalt bereits eine massive
De-Industrialisierung erlebt. Eine einseitige Klimapolitik, die allein auf den
Ausstieg der Kohleverstromung in unserem Bundesland setzt, ist nicht nachhaltig
und droht zu einer zweiten De-Industrialisierung zu führen. Wer den Ausstieg
ohne einen Einstieg in ein neues marktwirtschaftliches Erfolgsmodell für das
Industrieland Sachsen-Anhalt will, handelt politisch fahrlässig. Die ständige
Neufestlegung von Zielanteilen für die erneuerbare Stromerzeugung folgt
politischen Vorgaben. Diese spiegeln jedoch nicht die physikalischen
Gesetzmäßigkeiten und die energiewirtschaftlichen Realität wider.
Unberücksichtigt bleibt dabei, dass ab 2022 die letzten Kernenergiekraftwerke
vom Netz genommen werden. So wird es zu einer Stromversorgungslücke kommen, die
auch über den Bezug von Kohlestrom aus Polen und Kernenergiestrom aus Belgien
und Frankreich nicht dauerhaft gedeckt werden kann. Denn auch in den
europäischen Nachbarländern wird sich die gesicherte Kraftwerkskapazität
verringern und zudem besteht eine hohe gleichzeitige Stromnachfrage. Aufgrund
dieser Rahmenbedingungen sind Politik und Energiewirtschaft gefordert,
international wettbewerbsfähige Preise für die Versorgung mit Strom und
Prozesswärme für die Industrie in Sachsen-Anhalt zu sichern.
Die Erneuerbaren Energien übernehmen immer größere Anteile an der
Stromerzeugung. Jedoch ist es bisher nicht gelungen, dass die Erneuerbaren
Energien in verlässlicher und bezahlbarer Form Energie zur Verfügung stellen.
Technologien wie Power-to-X sind bisher noch nicht marktfähig. Wenn der Wind
nicht weht und die Sonne nicht scheint, garantieren die konventionellen
Energieträger Versorgungssicherheit unter marktwirtschaftlichen
Rahmenbedingungen. Ein Ausstieg aus der Kohleverstromung kann somit erst
erfolgen, wenn Netzausbau und Speicherentwicklung so weit vorangeschritten
sind, dass die fluktuierende Strombereitstellung aus Erneuerbaren Energien zu
wettbewerbsfähigen Preisen zuverlässig ausgeglichen werden kann. Eine
Kostenspirale, wie beim Erneuerbaren-Energien-Gesetz, muss verhindert werden.
Die bisherigen Beratungen der Strukturkommission zeigen zudem, dass die
rohstoffpolitischen Grundlagen der Braunkohleförderungen auf die politische
Agenda gesetzt werden müssen. Die Braunkohle in Deutschland ist nicht allein
Energieträger, sondern auch Rohstoff für zahlreiche Industriezweige. Mit der in
Sachsen-Anhalt vorkommenden stark wachshaltigen Braunkohle gibt es einen
Bodenschatz, der in dieser Struktur weltweit einmalig ist. Aus dieser nur in
dieser Region vorkommenden Wachskohle wird ein Rohstoff mit einer
hocheffizienten und weltweit nachgefragten Anwendungsbreite hergestellt, seien
es etwa Spezialkunststoffe und weitere, zukunftsweisende Produkte. Dies ist nur
ein Beispiel von stofflicher Nutzung einheimischer Rohstoffe, die hier im Land
effizient und wettbewerbsfähig im internationalen Maßstab produziert werden.
Die aktuelle Debatte um die Zukunft der Kohleverstromung muss von allen
Beteiligten verantwortungsbewusst und mit Realitätssinn geführt werden. Ziel
muss es sein, dass die integrierten Wertschöpfungsketten in unserem Bundesland
gestärkt und weiter entwickelt werden. Dazu sind bereits erfolgsversprechende
Projekte - begleitet durch Forschungs- und Entwicklungsinstitute angelaufen –
die diese intergierten Wertschöpfungsketten energieeffizient, klimaschonend und
wettbewerbsfähig entwickeln. Es braucht jedoch mehr Zeit, um diese Pfade
erfolgreich zu beschreiten.
Sowohl die Rohstoffgewinnung, die Energieerzeugung und die industrielle
Produktion sind kapitalintensiv und haben Planungshorizonte von 20 Jahren und
mehr. Es braucht stabile Rahmenbedingungen, Rechts- und Investitionssicherheit,
damit Energie- und Industrieunternehmen auch in Zukunft in Sachsen-Anhalt
investieren. Erst dann lohnt es sich, sektorenübergreifend alle Möglichkeiten
einer CO2-Minderung gleichwertig zu betrachten und verstärkt auf Maßnahmen zur
Stärkung der Kreislaufwirtschaft zu setzen. Die chemische Industrie hat in
Sachsen-Anhalt eine große wirtschaftliche Bedeutung. Mit Investitionen in
Innovation kann sie aufgrund ihrer hervorgehobenen Rolle in Deutschland einen
erheblichen Beitrag zur Stärkung der Kreislaufwirtschaft spielen. Bereits heute
trägt die Chemie mit ihren Produkten (z.B. Beiträge zu Speichern und
Erneuerbaren Energien, Dämmstoffen, Leichtbau, Reifen etc.) wesentlich zum
Klimaschutz bei. Gerade deshalb ist es entscheidend, dass die Kommission nicht
auf einen Strukturwandel mit der Verteilung von Steuermitteln nach dem
Gießkannenprinzip setzt, sondern Vorschläge zu einer marktwirtschaftlichen
Strukturentwicklung in Sachsen-Anhalt unterbreitet.