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M.Rosenberger Pressefoto 2016

Alle 230 Jahre eine Prüfung: Gewerkschaft NGG kritisiert „Kontroll-Desaster“ beim Arbeitszeitgesetz

19. September 2018


Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) schlägt Arbeitszeit-Alarm: Obwohl Schicht-, Nacht- und Wochenendarbeit seit Jahren zunehmen, kontrollieren Behörden immer seltener die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes. Knapp 15.200 Arbeitszeit-Kontrollen führten die Arbeitsschutzbehörden der Bundesländer im vergangenen Jahr durch – 21 Prozent weniger als im Vorjahr und 41 Prozent weniger als noch im Jahr 2010.

Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Susanne Ferschl (Linke) hervor, die der NGG exklusiv vorliegt. Danach entdecken die Kontrolleure bei zwei Drittel aller Prüfungen einen Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz. Von einer „schockierenden Bilanz“ und einem „Kontroll-Desaster“ spricht die NGG-Vorsitzende Michaela Rosenberger. „Wenn ein Betrieb rechnerisch nur alle 230 Jahre mit einer Kontrolle rechnen muss, dann droht das Arbeitszeitgesetz – eines der wichtigsten Schutzgesetze für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland – zum Papiertiger zu werden.“

 

Die Aufsichtsbehörden der Länder müssten ihr Personal rasch massiv aufstocken, fordert die Gewerkschaft NGG. Laut Bundesarbeitsministerium beschäftigten die Landesbehörden im Jahr 2016 lediglich 2.965 Aufsichtsbeamte „Statt über Experimentierräume beim Arbeitszeitgesetz nachzudenken, sollte die große Koalition sich lieber um eine wirksame Kontrolle kümmern“, so Rosenberger. Eine Aufweichung des Gesetzes, wie sie Arbeitgeberverbände, allen voran der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga), fordern, dürfe es unter keinen Umständen geben.

 

Welches Ausmaß extreme Arbeitszeiten in Deutschland mittlerweile haben, zeigen aktuelle Zahlen: Mehr als eine Milliarde Überstunden leisteten Beschäftigte allein im ersten Halbjahr 2018 – mehr als die Hälfte davon unbezahlt (Quelle: IAB). Jeder Neunte arbeitet mehr als 48 Stunden pro Woche, so das Statistische Bundesamt. Ein Viertel aller Erwerbstätigen arbeitet regelmäßig am Wochenende – im Gastgewerbe sogar 86 Prozent. Nach einer Untersuchung des Pestel-Instituts (Hannover) haben auch die Nacht-, Abend- und Schichtarbeit in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Frauen sind davon besonders häufig betroffen.

 

„Ob Mails und Anrufe nach Feierabend oder Nachtschichten in der Lebensmittelindustrie – wir haben es immer häufiger mit entgrenzten Arbeitszeiten zu tun“, so Rosenberger. Sollte sich der Staat beim Schutz der Beschäftigten nicht stärker engagieren, drohe sich die Situation im digitalen Zeitalter zu verschärfen.

 

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) warnt dabei vor den gesundheitlichen Folgen extremer Arbeitszeiten. „Wer regelmäßig lange nachts oder im Schichtdienst arbeitet, der hat ein erhöhtes Risiko, am Herzen oder an Diabetes zu erkranken“, so Dr. Anita Tisch, Leiterin der Abteilung „Wandel der Arbeit“. Studien zeigten zudem, dass das Unfallrisiko auch tagsüber nach der achten Arbeitsstunde exponentiell steige.