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Christian Lindner  Martin Rulsch  1

LINDNER-Interview: Jens Spahn führt sein Ministerium wie ein schwarz lackierter Sozialdemokrat

6. Oktober 2018


Dobrindts konservative Revolution halte ich für falsch. Laschet kann Kanzler.


Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner (Foto) gab dem „Focus“ (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Jan W. Schäfer.


Frage: Herr Lindner, träumen Sie schon von Neuwahlen und einem Jamaika-Bündnis?

Lindner: Ich träume nachts nicht von Politik.

Frage: Aber tagsüber fordern Sie die Fraktion auf, sich auf eine schnelle „Übernahme von Regierungsverantwortung“ vorzubereiten.

Lindner: Für den Fall der Fälle wollen wir Konzepte haben, um den Modernisierungsstau bei Bildung, Digitalisierung, Bürokratismus, Steuern und Energie anzugehen.

Frage: Sie rechnen mit einem raschen Bruch der großen Koalition?

Lindner: Nein, aber nach den nächsten Wahlen gibt es Sollbruchstellen. Ich rechne damit, dass die SPD-Basis zur Mitte der Legislaturperiode 2019 auf einem Mitgliedervotum zur Fortsetzung der großen Koalition bestehen wird. Das wird heikel.

Frage: Derzeit hätte nur ein Bündnis aus Union, Grünen und FDP eine Mehrheit. Sind Sie bereit für Jamaika?

Lindner: Es zählen die Inhalte. 2017 haben sie nicht gestimmt, nach einer Neuwahl wird das geprüft. Die Grünen treten mit Herrn Habeck cremig und nicht mehr als besserwisserische Verbotspartei auf. In der Sache sehe ich die bekannten linken Positionen.

Frage: Auch bei Co-Chefin Annalena Baerbock?

Lindner: Frau Baerbock hat am Tag der deutschen Industrie etwa das Verbot des Verbrennungsmotors ab 2030 bestätigt, obwohl es klimaneutrale Anwendungen mit synthetischen Kraftstoffen gibt. Die FDP macht sich für Klimaziele stark, aber auf dem Weg dahin setzen wir auf Technologie-Offenheit und auf Marktwirtschaft. Nicht auf Subventionen, Quoten und Verbote. Wenn noch einer in der Industrie von Jamaika geträumt hat, war er nach der Rede aufgewacht. Auch der Abnutzungskrieg zwischen Frau Merkel und Herrn Seehofer bestätigt uns.

Frage: Es gibt mittlerweile viele informelle Gesprächsrunden zwischen FDP und Grünen. Sind die alle für die Katz?

Lindner: Nein, die pflegen wir mit allen Parteien. Um sich besser kennenzulernen und zu sehen, bei welchen Themen es Gemeinsamkeiten gibt und bei welchen nicht. Vor allem erkennt man, wo man sich im Ziel unterscheidet und wo nur im Weg. Wir haben mit den Grünen auch gemeinsame Initiativen ergriffen, zum Beispiel zur Reform des Bildungsföderalismus. In Sachen Migration hingegen ist der Graben tief. Die Grünen blockieren im Bundesrat etwa die Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer, wodurch die Abschiebung von Ausreisepflichtigen erleichtert würde. So stärken die Grünen über einen Umweg die AfD, weil Probleme nicht gelöst werden.

Frage: Sie pflegen einen engen Draht zu den Unionspolitikern Spahn und Dobrindt. Wie oft telefonieren Sie derzeit miteinander?

Lindner: Ich schmunzele immer, wenn ich zusammen mit beiden genannt werde.

Frage: Warum? Schließlich haben Sie doch mehrere gemeinsame Treffen auch öffentlich inszeniert.

Lindner: Da gibt es keine Inszenierung, wir schätzen uns. Aber weder sind wir ein Club, noch teile ich alle Ansichten. Jens Spahn führt das Gesundheitsministerium wie ein schwarz lackierter Sozialdemokrat. Und die Liberalität der Gesellschaft mit der „konservativen Revolution“ von Alexander Dobrindt zurückzudrehen halte ich für falsch.

Frage: Wer steht Ihnen in der CDU am nächsten?

Lindner: Da kann ich niemanden exklusiv nennen. Aber oft wird etwa übersehen, dass ich mit Armin Laschet 2017 in Nordrhein- Westfalen eine erfolgreich arbeitende CDU/FDP-Koalition gebildet habe. Wir arbeiten seit 2005 eng zusammen.

Frage: Kann Armin Laschet auch Kanzler?

Lindner: Ein nordrhein-westfälischer Ministerpräsident kann immer Kanzler. Armin Laschet habe ich zudem als fairen Verhandlungspartner erlebt. Er hat natürlich die Interessen der CDU im Blick. Aber er wusste, dass er die Freien Demokraten braucht. Wir sind deshalb zu einer Koalitionsvereinbarung gekommen, die beiden Partnern Projekte zur Profilgewinnung lässt, ohne sie zu zwingen, irgendwo anders das eigene Wort zu brechen. Diese Zusammenarbeit ist mustergültig.

Frage: Das klingt fast so, als setzten Sie nach möglichen Neuwahlen im Bund auf eine schwarz-gelbe Minderheitsregierung?

Lindner: Nein, eine Minderheitsregierung ist keine wünschenswerte Konstellation, sondern höchstens ein Übergang. Nach den Erneuerungen von Union und SPD, die ausstehen, wird sich das Parteiensystem noch einmal verändern.

Frage: Barack Obama hat Angela Merkel fast bemitleidet, als sie 2016 erklärte, ein viertes Mal zur Wahl anzutreten. Sollte die Amtszeit von Regierungschefs bei uns begrenzt werden?

Lindner: Ja, das halte ich inzwischen für eine sinnvolle Idee. Unser Grundgesetz hat sich über die vergangenen 70 Jahre sehr gut bewährt. Aber in vielen Details, wie bei der Amtszeit des Bundeskanzlers, sollte man Anpassungen vornehmen.

Frage: Welche Grenze schwebt Ihnen vor?

Lindner: Ich kann mir eine Legislaturperiode von fünf Jahren vorstellen. Gleichzeitig sollte die Amtszeit des Bundeskanzlers nach maximal zwei Perioden enden. Das verhindert, dass eine Regierung nur um ihrer selbst willen an der Macht ist.

Frage: Von der Schwäche der GroKo kann die FDP nicht profitieren. Sie monieren in einem Schreiben an die Partei, die FDP schöpfe ihr Potenzial nicht aus. Was läuft falsch?

Lindner: Wir können stärker sein als die neun, zehn Prozent. Aber wir müssen Anlauf nehmen, da wir die Menschen persönlich überzeugen müssen. Denn die Kommunikationskanäle in der Gesellschaft sind einerseits verstopft durch die Provokationen der AfD, andererseits durch den notwendigen Widerspruch der Wohlmeinenden, der sich aber radikalisiert und an Niveau verliert. Man hört Gebrüll, weshalb differenzierte Antworten die Menschen zu wenig erreichen.

Frage: Was ist die richtige Strategie im Umgang mit der AfD? Zurückbrüllen kann es ja nicht sein, oder?

Lindner: Wir müssen die AfD als das benennen, was sie ist: eine völkisch-autoritäre Partei. Und zugleich müssen wir versuchen, die Wähler mit überzeugenden Argumenten zurückzuholen.

Frage: Braucht die FDP neue Themen, um stärker gehört zu werden?

Lindner: Nein. Wir sind die Partei, die an die Selbstverantwortung erinnert. Wir sprechen die breite Mitte an, die vom Staat erwartet, dass er Probleme löst und nicht neue schafft. Tatsächlich nimmt die Politik ihnen viel Geld ab, bei der Bildung, der Infrastruktur, dem Management der Migration überzeugt sie aber nicht. Und mit unsinnigen Fahrverboten schafft die Politik zudem neuen Ärger im Alltag. Die Vorschläge der Regierung zum Diesel sind ein Witz.

Frage: Die Autobauer hätten zur Umrüstung der Fahrzeuge verpflichtet werden sollen?

Lindner: Nein, im Gegenteil ärgert mich, dass eine Industrie mit Hunderttausenden Arbeitsplätzen pauschal an den Pranger gestellt wird. Einige Hersteller haben manipuliert, dieser Betrug muss auf Kosten der Industrie beseitigt werden. Darüber hinaus handelt es sich aber um legale Fahrzeuge. Die Menschen haben im guten Glauben Diesel kaufen können. Über Jahre hat die Politik ihnen mit Subventionen de Diesel-Kauf schmackhaft gemacht. Und jetzt werden sie dafür bestraft, weil die Politik über Jahre untätig war. Wir brauchen ein anderes Maßnahmenpaket.

Frage: Und das wäre?

Lindner: Pflichtumrüstungen bei Manipulation, freiwillige in betroffenen Regionen über einen Fonds, an dem sich der Staat beteiligt. Dann Modernisierung des öffentlichen Verkehrs. Vor allem sollten alle Messungen überprüft werden. Ich habe, wie die Verkehrsminister der Länder, Zweifel in Messmethode und - punkte. Bis das bearbeitet worden ist, brauchen wir ein Moratorium aus Brüssel, das uns Zeit gewährt.

Frage: Wie lange soll das Moratorium laufen?

Lindner: So lange wie nötig. Wir haben große Fortschritte in den vergangenen fünf Jahren erzielt. Grundsätzlich halte ich es daher für vertretbar, wenn wir die strengsten Grenzwerte der Welt etwas später als geplant erreichen. Die Bundesregierung muss sich in Brüssel dafür starkmachen.

Frage: Die FDP strebt für die Europawahl ein Bündnis mit En Marche des französischen Präsidenten Macron an. Dabei galten Sie bis vor Kurzem in Frankreich noch als dessen härtester Gegner. Woher der Sinneswandel?

Lindner: Wir sind in Gesprächen. Ob es zu mehr kommt, kann man nicht sagen. Jedenfalls hat man in Paris erkannt, dass es zwischen den Liberalen und En Marche mehr Gemeinsamkeiten gibt als gedacht. Beide sind wir für wirtschaftliche Dynamik, offene Gesellschaften, gemeinsame Sicherheitspolitik, gesteuerte Migration.

Frage: Aber in der Euro-Politik liegen FDP und En Marche weit auseinander.

Lindner: Wir halten an finanzpolitischer Eigenverantwortung fest, Frau Merkel dagegen hat einem gemeinsamen Budget für die Euro-Zone zugestimmt. Inzwischen haben aber zwei Drittel der Euro-Länder das abgelehnt. Diese Ideen sind tot, neue müssen her. Wir teilen das Ziel Frankreichs, die Zukunft der Euro-Zone zu sichern. Das geht über Respekt vor den Schuldenregeln und über konkrete, realwirtschaftliche Investitionen in Regionen mit Erneuerungsbedarf. Hier im Haushalt der EU die Prioritäten zu verschieben halte ich für diskussionswürdig.

Frage: Macron will aber auch wieder mehr Staatsschulden machen.

Lindner: Das stimmt. Aber bei Macron geht das Defizit auf Reformen zurück. Mich besorgt mehr Italien. Die populistische Regierung will die Verschuldung erhöhen, weil sie Europa ärgern und Geld auf Pump verschenken will. Das muss geahndet werden. Die Bundesregierung muss sich für die Eröffnung eines Defizitverfahrens starkmachen. Zu lange hat die große Koalition weggesehen, weil man Angst vor der Wahl von Populisten hatte und in Sachen Migration erpressbar war.

Frage: Sie wollen noch 30 Jahre lang Politik machen. Wie sehr frustriert es Sie da, nur an der Seitenlinie zu stehen?

Lindner: Wir haben starke Nerven. Und stehen nicht an der Seitenlinie. In NRW haben wir Bürokratie abgebaut, Millionen in Kitas investiert, treiben die Digitalisierung voran und modernisieren die Bildung. All das, was wir uns auch für Deutschland wünschen. Ich bin sicher, wir werden die Chance dazu erhalten.