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Buchtipp: „Bewegte Zeiten – Archäologie in Deutschland“

Samstag, den 10. November 2018



Ideenaustausch und Innovationen seit früher Zeit  

Von Uta Luise Zimmermann-Krause


Eine Ausstellung zum Thema «Bewegte Zeiten- Archäologie in Deutschland» hält ihre Pforten im Gropius Bau zu Berlin vom 21. September 2018 bis zum 6. Januar 2019 geöffnet. Besucher können während dieser Zeit Großartiges entdecken. Der gleichnamige Ausstellungskatalog wurde herausgegeben von Matthias Wemhof und Michael M. Rind (Hg.) - Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin, Verband der Landesarchäologen in der Bundesrepublik Deutschland. Erschienen ist der Katalog im Michael Imhof Verlag. Und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die verantwortungsvolle Schirmherrschaft für diese große Ausstellung anlässlich des Europäischen Kulturerbejahres 2018 übernommen. Mehr als 2000 Objekte von 78 Leihgebern werden auf 1600 qm Fläche im gesamten Erdgeschoss  der Öffentlichkeit präsentiert. Federführend ist der Verband der Landesarchäologen, dessen gute Zusammenarbeit ganz besonders in diesem Projekt gespiegelt wird. Die wissenschaftlich fundierten Textbeiträge von mehr als 90 Autoren, ergänzt durch qualitativ hochwertige Abbildungen, machen deutlich, dass Menschen zu allen Zeiten aus den unterschiedlichsten Gründen große Strecken zurückgelegt haben. 

Die Ausstellung macht deutlich, dass sich Kontakt- und Austauschräume jederzeit verändert haben und dass aus allen Richtungen Europas und von anderswo Menschen durch Sesshaftwerden, Handel oder auch kämpferische Auseinandersetzungen wesentliche Impulse zur Entwicklung jeweiliger Regionen gaben. Der Katalog folgt der Gliederung der Ausstellung und beginnt mit dem Kapitel „Europa vernetzt“. 

Hier zeugen eine Reihe von Exponaten wie Münzen, Bohlen, Kalksteinrelief, Glasflaschen in Dattelform für kostbare Essenzen von der römischen Hafenstadt Köln vor 2000 Jahren. Römische Militärs ließen sich auf dem hochwassersicheren Plateau in der Kölner Altstadt nieder, und Grabsteinfragmente weisen auf die Tätigkeiten der Verstorbenen hin. 

Ihre Herkunftsgebiete sind Italien, Spanien, Frankreich, Bulgarien, Griechenland, Türkei, Syrien, Nordafrika, Niederlande, Großbritannien, Deutschland, Österreich sowie der Balkan. Da die Kosten für den Transport von Handelswaren, Tieren und Menschen zu Wasser um ein Vielfaches niedriger waren, ging es äußerst betriebsam einher im Rheinhafen zu Köln. Hafengeräte wie beispielsweise eine Waage, bronzene Siebgefäße oder gar ein gesunkener Lastkahn  legen Zeugnis ab zu den unterschiedlichsten Aktivitäten. Die Rekonstruktion der rheinseitigen Stadtmauer mit Hafentor zeigt die ganze Pracht römischer Baukunst. Das folgende Kapitel «Mobil durch die Jahrtausende» beschäftigt sich mit hölzernen Wegen im Moor. Allein aus Niedersachsen sind  mehr als 500 Wege durch das Moor von der Jungsteinzeit bis heute bekannt. Einer der Wege wurde bereits um 4600 v. Chr. angelegt, und Wagenräder bezeugen erste bäuerliche Aktivitäten. Selbst die im Jahr 2000 gefundenen Reste einer Moorleiche erzählen die Geschichte des damals 19-jährigen Mädchens. 

Wohin es die mitteleuropäischen Neandertaler während einer kleinen Eiszeit zog, lässt sich anhand von unterschiedlich positionierten Faustkeilen im europäischen Raum rekonstruieren. Oberhalb des Zusammenflusses von Lemme und Ruhr befindet sich die sogenannte Blätterhöhle, einstige Heimstatt für Jäger, Sammler und Ackerbauern, wie ein Pfeilschaft-Glätter aus Sandstein, eine Anzahl von Faustkeilen und Schädel aus unterschiedlichen Formationen belegen. 

Dem wohl eindringlichsten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Quantensprung in der Geschichte weltweit ist ein weiteres Kapitel gewidmet: Die großen Migrationen im Neolithikum (Jungsteinzeit) und die daraus resultierende Formung Europas. 

Ende des 7. Jahrtausends v. Chr. ist eine verstärkte Migration kleiner Bevölkerungsgruppen aus Westanatolien nach Griechenland und auf den Balkan nachweisbar. Sie bringen ihre Tiere und Nahrungspflanzen aus dem Nahen Osten mit und siedeln in Gebieten, die für Landwirtschaft geeignet sind. Letztendlich breiten sich die Gruppen weiter aus und etablieren sich als erste Siedler in Deutschland mit der typischen Linienbandkeramik. 

Eine Hammerkopfnadel, gefunden im Kriegergrab von Egeln, weist in den kaukasischen Raum. Dort waren diese Nadeln im 3. Jahrtausend v. Chr. sehr verbreitet. 

Die Forschungsgrabungen in Herxheim (Rheinland-Pfalz) ergaben, dass hier eine Siedlung der frühesten Ackerbauern Mitteleuropas von 5300 bis 4950 v.Chr. bestanden hat, deren innerer Schutzgraben am Ende jedoch zu einem Massengrab für über 1000 Menschen wurde. Waren es Menschenopfer, deren Schädel zu Kalotten zugerichtet und ihre Körper mit scharfen Silexmessern zertrennt wurden? Wenn Ja, woher kamen diese Menschen? Die Antwort liefern Exponate und Untersuchungsergebnisse an Zähnen. 

Hingegen ein aufwendig gefertigter römischer Dolch mit Scheidenblech von Magdala (gefunden in Syrien) war im damaligen Partherreich sicherlich einzigartig. Möglicherweise kam er als Beute oder Handelsgut nach Syrien oder der Bestattete besaß diese Waffe, weil er als Auxiliarsoldat in römischen Diensten stand. Als Folge der römischen Niederlage bei Harran / Karrhai 53 v. Chr. wurde der mittlere Euphrat Grenzgebiet zwischen dem Parthischen und dem Römischen Reich. Doch es sind noch einige andere Begebenheiten denkbar. Selbst ein Diadem und ein Männerschädel, die in einer Grabkammer am Mithridates-Berg bei Kertsch Halbinsel Krim) gefunden wurden, erzählen eine Geschichte aus der Zeit unter hunnischer Herrschaft. 

Pilgern, Pilgerzeichen zum Anstecken, Schreibgriffel mit S-förmiger Verzierung sowie einem Aachhorn aus Martin Luthers Familienbesitz ist ein ganzes Kapitel gewidmet. Von Waren und Wegen im Austauschsystem ist die Rede, wenn es um Goldringe und Gussäxte geht, denn auch in der Bronzezeit kannte man ein weitgespanntes Wirtschafts- und Wertesystem, später auch im keltischen Raum. 
Dass unter den Eliten ein Austausch wertvoller Geschenke stattfand, belegt eine stattliche Zahl von Exponate. 

Und wie die Schlacht vom Tollensetal zeigt, gehören Krieg und Gewalt zu den wohl unumgänglichen Begleiterscheinungen im Zusammenleben von Menschen, denn der Begriff «Krieg» ist seit mehr als 3000 Jahren bekannt. Dazu zählt auch die Schlacht am Harzhorn von 235 n. Chr..
Geborgene Wracks und ein Lederschuhrest in der Ostsee liefern den Nachweis für Seeschlachten.  
Und weiter ist die Rede auch vom sehr erfolgreichen Homo sapiens, der sich vor rund 
250 000 Jahren in Afrika entwickelte. Seine Verbreitung ist belegt durch die älteste Kunst in Form von vielfältigen Linien- und Gittermustern auf Straußeneischalen. 

Berühmt ist ebenfalls die Himmelsscheibe von Nebra aus der frühen Bronzezeit. Eine wahrhaft spannende Geschichte, die es sich lohnt, anzueignen durch Exponat-Schau und Begleittext von Harald Meller, Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt.  

Zurück zu den Römern, die über Jahrhunderte ihre Präsenz nördlich der Alpen zeigten und deren kunstvolle Gestaltung von Fibeln, einer rekonstruierten Kline, einer Vogelfigur, eines Reliefs aus dem Mithras-Heiligtum u.v.a.m. begeistern.

Eine andere Geschichte erzählen die ältesten Wandmalereien nördlich der Alpen, aufgedeckt in Bodman-Ludwigshafen. 

Und wie die antiken Kulturen von Römern, Kelten und Gallorömern im heutigen Saarland verschmelzen konnten, belegen zahlreiche Funde wie Keramik, Schöpfkelle, die Bronzestatuette eines Hundes aus dem Mars-Tempel oder auch Lanzenspitzen. Verblüffend ist der archäologische Nachweis von technischen Innovationen: Ackerbau und Viehzucht mit dem neolithischen Traktor, dem Rind, das den Pflug zieht; die Metallurgie mit Beginn vor 7000 Jahren; Großsteingräber schon 1000 Jahre vor den Pyramiden; und zeitgleich um 3500 v.Chr. Rad und Wagen. 

Selbst die Glasproduktion in Köln weist auf Wissenstransfer und Zutaten aus der Levante und dem Nahen Osten hin mit geübten Handwerkern aus dem Mittelmeerraum. Eine Liste aller Fundorte der in der Ausstellung gezeigten Exponate unterstützt die Aussage, dass es das heute viel diskutierte Migrationsphänomen bereits seit frühestem Menschengedenken gibt.Die ganze Ausstellung in einem Band «Bewegte Zeiten- Archäologie in Deutschland», der allen Geschichtsinteressierten an die Hand empfohlen sei.
                       
- Matthias Wemhof und Michael M. Rind (Hg.),
Bewegte Zeiten – Archäologie in Deutschland.
24,5 x 29 cm, 480 Seiten, 477 Farb- und 29 S/W-Abbildungen,   
gebunden, Hardcover, 
Michael Imhof Verlag, 2018
ISBN 978-3-7319-0723-7
Preis: 49,95 EUR