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Christian Lindner  Martin Rulsch  1

LINDNER-Interview: Bürgerversicherung ist verfassungswidrig

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner (Foto) gab der Neuen Osnabrücker Zeitung (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Dirk Fisser.

Frage: Herr Lindner, in den Umfragen geht es für die FDP bergab, auch Ihre Beliebtheitswerte sinken. Hat der Ausstieg der FDP aus den Jamaika-Verhandlungen mehr geschadet als von der FDP erwartet?

Lindner: Sich an die Zusagen vor der Wahl nach der Wahl zu halten, kann niemals schaden. Wir sind derzeit in einem Hagelsturm und müssen erklären, an welchen Sachfragen die Regierungsbildung gescheitert ist. Ich erlebe, dass Verständnis und Respekt wachsen, wenn wir unseren Ausstieg erklären.

Frage: Der Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sprach von einer „Schande“. Da ist es mit Respekt nicht weit her…

Lindner: Wir sind Anwälte der sozialen Marktwirtschaft und des Mittelstandes, nicht Interessenvertreter von Verbänden. Ich erinnere mich sehr genau daran, dass einzelne Verbände aus der Wirtschaft, aber auch Gewerkschaften vor der Energie- und Industriepolitik einer Jamaika-Koalition gewarnt haben. Diese Bedenken haben wir geteilt und das war auch ein Grund, warum wir als an naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und an ökonomischer Vernunft orientierte Partei Koalitionsverhandlungen nicht zustimmen wollten.

Frage: Ihre Generalsekretärin Beer und ihr Fraktionskollege Kubicki haben sich beide offen gezeigt für Nachverhandlungen in Sachen Jamaika, sollte es nun mit der Groko nicht klappen. Ist ihr Nein wirklich ein Nein?

Lindner: Die FDP mauert sich nicht für alle Ewigkeit ein. In der gegenwärtigen politischen und personellen Situation war und ist Jamaika aber nicht möglich. Die Grünen haben 2013 die Sondierungen mit der Union verlassen und trotzdem 2017 wieder mit der Union gesprochen. So schließe auch ich nicht aus, dass wir wieder einmal Gespräche über eine Regierungsbildung aufnehmen – aber nicht in dieser Wahlperiode.

Frage: Sie haben neue Jamaika-Verhandlungen in dieser Wahlperiode ausgeschlossen. Aber wenn die Groko jetzt platzt?

Lindner: Die politischen Vorzeichen müssen sich geändert haben, sonst wäre es nur eine Wiederauflage dessen, was wir schon geprüft und für nicht gut befunden haben. In dieser Wahlperiode läuft alles auf eine Große Koalition hinaus. Wenn die Union nun von der SPD erpresst wird, eine vergleichbare Politik zu machen, wie sie uns in der Jamaika-Koalition aufgezwungen werden sollte – also: viel Geld ausgeben, neue bürokratische Hürden für Bürger und Unternehmen und so weiter – dann gibt es immer die Alternative der Minderheitsregierung. Die Entscheidung liegt bei der Union. Wir geben keinen Rat, aber machen eine Zusage: Die FDP ist konstruktiv gegenüber guten Regierungsvorhaben. Deswegen würden wir eine Minderheitsregierung aus dem Parlament heraus offen begleiten.

Frage: Gilt das auch für die von der SPD ins Spiel gebrachte KoKo? Oder ist das keine Regierungsform für Deutschland?

Lindner: Das ist eine denkbare Variante. Prinzipiell bin ich Anhänger von formalen Koalitionen mit einer Mehrheit im Parlament. Aber: In meinen fast 18 Jahren als Abgeordneter habe ich einen Bedeutungsverlust des Parlaments erlebt. Debatten, die mehr in Talkshows als im Plenarsaal geführt werden oder Regierungen, die Hunderte Seiten starke Gesetzesvorhaben einen Tag vor der Abstimmung einreichen, sind solche Symptome. Eine Minderheitsregierung würde eine Vitalisierung des Parlaments mit sich bringen. Das wäre ein guter Nutzen in einer schwierigen Situation.

Frage: Also ist eine Minderheitsregierung besser als die Groko?

Lindner: Für den Parlamentarismus sicherlich, weil dann im Parlament Politik gemacht wird. Und es wäre besser für Deutschland, wenn die SPD in Groko-Verhandlungen Maximalpreise erzielen will, die an politische Erpressung herangehen. Das deutet sich an und davor sollte die Union sich hüten.

Frage: Wäre die Bürgerversicherung so eine Erpressung? Lässt sich die Kanzlerin auf diese SPD-Forderung ein?

Lindner: Das halte ich für ausgeschlossen. Eine Bürgerversicherung ist verfassungswidrig, weil Menschen enteignet werden. Das würde nicht nur für Menschen gelten, die vergleichsweise gut verdienen - auch Beamte mit kleinem Einkommen wären davon betroffen.

Frage: Die Grünen verordnen die ihre FDP im rechten Lager…

Lindner: … und meinen das selbst nicht ernst. Sollte das nämlich stimmen, müssten sie ja sofort aus unseren gemeinsamen Regierungen in Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz austreten…

Frage: Ihre Initiative im Bundestag bezüglich Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus haben Sie zurückgestellt, weil Sie keine Mehrheit ohne die AfD gefunden haben. Ist der Vorschlag dann nicht eher im rechten Spektrum zu verorten?

Lindner: Unser Vorschlag zur Aussetzung des Familiennachzugs deckt sich mit der Politik der Großen Koalition, die auch von der SPD mitgetragen worden ist. Wir sehen darüber hinaus eine Härtefallkommission vor. Unser Modell ist also links von der SPD zu verorten, weil es über die Politik der Groko hinausgeht. Für uns ist wichtig, dass es keine Vorschläge gibt, die sich auf die Stimmen von AfD oder Linkspartei stützen müssen. Ich will Mehrheiten aus dem demokratischen Zentrum heraus und dazu zähle ich AfD und Linke nicht.

Frage: Wenn Sie immer nur auf die anderen warten, nehmen die Ihnen dann nicht die Butter vom Brot?

Lindner: Nein, die brauchen uns dann ja genauso. Beim Familiennachzug halte ich es für möglich, dass Union und SPD unseren Vorschlag mittragen werden, Grüne und Linke nicht und die AfD jede Form von Mitmenschlichkeit gegenüber Flüchtlingen weiter ablehnt.

Frage: Apropos AfD: Wie verändert die Partei das Klima im Parlament?

Lindner: Erheblich. Aber man darf die AfD nicht unnötig stark machen. Durch Ignorieren drängt man die AfD in eine Opferrolle. Genau in dieser fühlt sich die Partei aber am wohlsten. Wir wollen es anders machen, wir wollen die AfD inhaltlich stellen und zeigen, was sie ist: menschen- und demokratiefeindlich.

Frage: Wie soll dieses „Stellen“ aussehen?

Lindner: Ein Beispiel: Wir sind die einzige Fraktion, die Albrecht Glaser von der AfD zu einem Gespräch eingeladen hat, nachdem er drei Mal bei der Wahl zum Vizepräsidenten des Bundestages durchgefallen ist. Nach diesem Gespräch können wir weiter guten Gewissens sagen und eben auch begründen: Dieser Mann darf nicht Bundestagsvize werden. Unter anderem wegen seiner Ansichten zum Islam.

Frage: Frau Merkel galt als starke Frau Europas. Was hat sich daran, auch unter dem Eindruck der Jamaika-Verhandlungen, geändert?

Lindner: Der Taktgeber sitzt in Person des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris. Er ist ein Politiker der Mitte, der nun einen sehr umfassenden Reformvorschlag für die EU vorgestellt hat. Darauf muss Deutschland mit Macht und Kreativität antworten und sich einbringen. Die geschäftsführende Bundesregierung macht dies nicht. Deswegen haben wir einen Antrag zur Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion in den Bundestag eingebracht. Es kann nicht sein, dass Deutschland weder auf die französischen Ideen noch auf die Reformvorschläge der EU-Kommission eine Antwort gibt. Unsere Position ist eine der Mitte. Das heißt: Mehr Zuständigkeit für die EU etwa in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, dahingegen aber finanzpolitisch Verantwortung an die Regionen und Länder zurückgeben.

Frage: Sie sagen, Sie stehen genauso in der Mitte wie Macron. Dem Vernehmen nach soll er sich ja vor einem Regierungseintritt der FDP in Deutschland gefürchtet haben.

Lindner: Wir möchten nicht, dass die Eigeninteressen mancher Staaten mit europäischen Budgets finanziert werden – auch wenn diese Interessen aus nationaler Sicht legitim sein mögen. Das tragen wir nicht mit. Eine Art Dispokredit auf europäischer Ebene, aus dem sich Schuldensünder bedingungslos bedienen können, ist für uns nicht vorstellbar.

Frage: Wird Merkel darauf eingehen?

Lindner: Bei den Jamaika-Verhandlungen war Frau Merkel jedenfalls bereit, auf europapolitische Forderungen der Grünen einzugehen, die eine Transferunion zum Schaden Deutschlands zur Folge gehabt hätten. Die CDU war also bereit, ihre Grundüberzeugungen zu verbiegen. Warum sollte das bei Verhandlungen mit Frankreich nicht auch der Fall sein?