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Online Katzen auf Mauer Haeuser1

Lucy & Dicki, Teil 11 – Eine Geschichte von Annemarie Stern aus Haldensleben

Viele bunte Pilze und ein Tierarzt im Einsatz

Haldensleben, 11. November 2018


Eine Geschichte von Annemarie Stern

In diesem Jahr gab es einen richtig schönen Herbst. Altweibersommer, oder Goldener Herbst, nannten ihn die Menschen. Mit Sonnenschein, buntem Laub, herrlichen Astern, rot leuchtenden Hagebutten und Pilzen. Vielen Pilzen im Wald und auf der Wiese.

Helmut und Undine wa-ren mit Anne und Walter zum Pilzesuchen in den Wald gefahren. Anne verriet den Freunden ihre besten Pilzstellen. Sie putzten ihre Ausbeute gleich im Wald, damit im nächsten Jahr wieder ein gutes Pilzjahr werden konnte. In den Küchen von Undine und Anne duftete es zwei Tage lang nach gebratenen Pilzen. Lucy hob ihre Nase und schnupperte gierig. Aber ihr Frauchen sagte zu ihr: „Nein, Pilze sind kein Fressen für Katzen.“ Trotz ihres Bettelns erhielt Lucy nicht mal eine Kostprobe. Das fand sie unerhört. Gekränkt lief sie zu Dicki. In ihrem Kopf war ein Plan gereift. „Dicki, wir könnten in den Wald laufen, und auch Pilze suchen! Mein Frauchen hat mich nicht einmal kosten lassen, obwohl es im ganzen Haus so gut duftete!“ Dicki war nicht sehr begeistert. „Also, Lucy, ich mach mir nichts aus Pilzen. Anne hat mir eine kleine Kostprobe abgegeben. Pilze sind glitschig und schlabberig.“ 

Nun wollte Lucy unbedingt auch Pilze kosten. Wer weiß schon, welcher Genuss ihr vorenthalten wurde. Dicki begleitete seine Lucy in den nahen Wald und fand den ersten Pilz. Er schnupperte an seinem Stängel. Es war ein hoher Pilz mit einem großen Schirm. „Der riecht aber streng! Nicht mein Geschmack!“, sagte Dicki zu Lucy. Lucy roch auch, knabberte ein Stück von seinem Stiel ab. Er schmeckte merkwürdig. Aber Lucy konnte das nicht zugeben. Tapfer schluckte sie den holzigen Bissen herunter. Sie fanden am Waldrand noch einige Pilze. Von jedem kostete Lucy einen winzigen Happen, aber keiner schmeckte wirklich gut. Aber auch nicht schlabberig. Auf dem Rückweg sah Lucy plötzlich einen Pilz mit einem leuchtend roten Schirm. „Das ist der letzte Pilz, den ich kosten werde“, versprach Lucy. „Komm, Dicki, den solltest du auch mal probieren“, ermunterte Lucy ihren Dicki, nachdem sie von dem Pilz gegessen hatte. „Der schmeckt gar nicht so schlecht!“ Aber Dicki wollte nicht. Aus purer Angeberei naschte Lucy noch einen Bissen von dem Pilz mit dem roten Hut.



Und dann wurde Lucy plötzlich albern. Sie hüpfte auf ihren Hinterbeinen und miaute laut: „Ich kann fliegen, ich kann fliegen! Ich  bin eine Artistin! Dicki, ich bin eine Artistin! Wo ist der Clown? Miooh, miiiau, mio!“ Sie miaute immer schauriger. „Nun bin ich auch noch eine Sängerin! Liebst du mich, Dicki? Wie du mich ansiehst, Dicki! Bist du überhaupt Dicki? Oh, du siehst richtig schaurig aus! Ich habe Angst vor dir! Du bist doch gar nicht Dicki!“ Sie hüpfte an Dicki vorbei. Verblüfft sah Dicki seiner Freundin hinterher. Was war nur mit ihr passiert? Als sie plötzlich wieder auf ihren vier Beinen stand, erstarrte sie. „Oh, ich habe viele, viele Beine und viele, viele Pfoten! Bin gespannt, wie es sich damit läuft!“ Lucy torkelte los, wurde immer schneller. Sie blieb stehen, schwankte und fiel um. Dicki, der ihr gefolgt war, schaute seine Lucy entgeistert an. Was war mit ihr passiert? Er konnte es sich nicht erklären. Waren vielleicht die rohen Pilze daran schuld? Sein Frauchen hatte die rohen Pilze gewaschen und dann in der Pfanne gebraten. Dann verdrehte Lucy plötzlich ihre Augen. Schaum stand vor ihrem Maul. Sie würgte, aber es kam kein Erbrochenes. Nun verstand Dicki, dass es Lucy sehr schlecht ging. Er trat immer abwechselnd  mit seinen Vorderpfoten auf Lucys Bauch. In seiner Angst miaute Dicki seinen lauten Katerschrei immer und immer wieder. 

Falko stupste sein Herrchen, Herrn Silbernagel, an. Seine Hundeohren hatten den Notschrei Dickies gehört. Herr Silbernagel, der sich in seiner Hollywoodschaukel ausruhte sagte streng: „Gebt Ruhe!“ Aber weder Bello noch Falko hörten auf ihn. Sie fiepten immer lauter, bis ihr Fiepen in Bellen überging. Falko lief ins Haus und brachte seine Leine. Er legte sie vor seinem Herrchen ab. Der gutmütige Herr Silbernagel holte nun auch die zweite Leine und ging mit seinen Hunden „Gassi“. Aber sie liefen nicht den gewohnten Rundgang. Sie zogen ihn zum Wald, ohne von den aufregenden Duftnoten, an denen sie vorbeikamen, Notiz zu nehmen. Nun hörte Herr Silbernagel auch den klagenden Schrei einer Katze. Er beschleunigte seine Schritte.

Als er bei Lucy und Dicki angekommen war, verstand er das Verhalten seiner Hunde. Er befestigte die Leinen mit den Hunden an einer Birke, kniete sich auf den Boden, zog sein Handy aus seiner Joppe und rief  seinen Freund, den Tierarzt Dr. Brömmel, an. Dann massierte er abwechselnd mit Dicki Lucys Bauch. Und endlich entleerte sich der gesamte Mageninhalt. Nun streichelte Herr Silbernagel abwechselnd den erschöpften Dicki, Lucy und seine treuen Hunde.

Der Doktor schnappte sich den Puppenwagen seiner Enkelin und eilte durch den kleinen Ort. Einige Passanten sahen ihrem verehrten Doktor Brömmel entgeistert hinterher. Er rannte gebeugt, mit einem Puppenwagen, offenem, weißen Kittel und wehende Haaren, dem Wald entgegen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde in der Kleinstadt: „Unser alter Tierarzt, der Doktor Brömmel ist verrückt geworden!“ „Oder was ist mit ihm sonst los?“ Als der Tierarzt endlich bei seinem Freund eintraf, sah er sofort, dass nun sein ganzes Können gefragt war, wenn er das Kätzchen retten wollte. Er streichelte Dicki über den Kopf und sagte zu ihm: „Du hast deiner Freundin vielleicht das Leben gerettet!“ Er legte Lucy in den Puppenwagen. Als er in die flehenden Augen Dickis sah, sagte er: „Na, spring auch mit rein, mein kleiner Helfer!“ Herr Silbernagel aber ging mit seinen Hunden zu Undine und Anne.

Doktor Brömmel hastete mit dem Puppenwagen, mit Lucy und Dicki darin, wieder durch den Ort. Die Menschen fragten: „Können wir ihnen helfen, Herr Doktor?“ Keuchend erwiderte der Tierarzt: „Ja, wenn jemand den Wagen bis zu meiner Praxis schieben würde, das wäre für mich eine Riesenerleichterung!“ Beruhigt, weil ihr Doktor doch nicht verrückt geworden war, brachte ein Mann den Puppenwagen zu Dr. Brömmels ehemaliger Praxis. Es dauerte nun nur noch kurze Zeit, bis Lucy angeschnallt auf dem Behandlungstisch lag, und eine Infusion nun wirklich ihr Leben rettete. Dicki hatte sich mit klopfendem Herzen unter dem Medizinschrank verkrochen. Mit Schaudern sah er zu, wie eine Nadel in Lucys Hinterlauf gepikst und sie mit Schläuchen verbunden wurde. Es dauerte sehr lange, bis der Doktor die Nadel entfernte. Lucy fiel in einen tiefen Schlaf. Der Tierarzt zog Dicki unter dem Schrank hervor, streichelte ihn und sagte: „Keine Sorge, deine Freundin wird wieder gesund werden.“ Sehr, sehr glücklich und erleichtert lief Dicki auf den Hohen Hof. Nie wieder würde er mit Lucy in den Wald laufen und zusehen, wie Lucy Pilze frisst, auch wenn sie noch so verführerisch aussahen! 

Eine Woche später saßen Lucy und Dicki eng aneinander geschmiegt auf der Hofmauer und ließen sich ihr Fell von der goldenen Herbstsonne wärmen.