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Christian Lindner  Martin Rulsch  1

LINDNER-Interview: Ich rate zu ideologischer Abrüstung

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner ( Foto ) gab der „Welt“ (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Thorsten Jungholt:

Frage: Armin Laschet ist nicht Ihr Wunschpartner, Herr Lindner. Dennoch steigen Sie jetzt in Koalitionsverhandlungen ein. Eine Zwangsheirat?

Lindner: Nein, eine Modernisierungspartnerschaft. Unser Ziel ist es, dass Nordrhein-Westfalen freier, fairer, digitaler und weltoffener wird. Dafür haben wir vor der Wahl geworben, die Chance auf Umsetzung lassen wir danach nicht verstreichen. Aber wir haben keine wechselseitigen Koalitionsaussagen getroffen, im Gegenteil: Die CDU hat offensiv vor der Wahl der FDP gewarnt. Wir sind aus eigener Kraft gewählt worden, weil Menschen sich bewusst für uns und nicht die CDU entschieden haben. Anders als 2009 bei der Bundestagswahl hat die FDP nicht zulasten der CDU gewonnen. Das entspannt unser Gegenüber.

Frage: Aber gibt es nicht dennoch Einigungsdruck? Die SPD hat sich Gesprächen mit der CDU verweigert und will in die Opposition. Würden Sie bei einem Scheitern der Verhandlungen auch Neuwahlen in Kauf nehmen?

Lindner: Wenn der von uns geforderte Politikwechsel erreicht wird, werden die Gespräche erfolgreich sein. Über anderes denke ich nicht nach. Es ist aber entlarvend, dass die Sozialdemokratie sich staatspolitischer Verantwortung entzieht und Gespräche mit der Union ausschließt. Wir lassen uns dadurch nicht unter Druck setzen. Dieser taktische Winkelzug wirft bei mir aber die Frage auf: Will sich die SPD auch nach der Bundestagswahl einer großen Koalition verweigern? Bereitet sie stattdessen Rot-Rot-Grün vor?

Frage: Sie haben mehr Wähler von SPD und Grünen hinzugewonnen als von der Union. Verprellen Sie die nicht gleich wieder mit Schwarz-Gelb?

Lindner: Deshalb habe ich bereits am Wahlabend signalisiert, dass wir unsere eine Million Wählerstimmen nicht per Blankoscheck weiterreichen. Das garantiert schon der Mitgliederentscheid, mit dem ein Koalitionsvertrag von unserer Parteibasis gebilligt werden muss. Unsere 15.000 Mitglieder in NRW sind der Aufsichtsrat, der darüber entscheidet, ob die liberale Handschrift hinreichend erkennbar und unsere Identität gewahrt ist. Das ist ein weiterer Beleg, dass und wie die Freien Demokraten sich nach 2009 verändert haben. Es entscheiden nicht wenige, sondern alle. Übrigens: Jeder, der uns gewählt hat und nun mit über den Koalitionsvertrag abstimmen will, ist herzlich eingeladen, noch Mitglied zu werden.

Frage: Was heißt hinreichend erkennbar?

Lindner: Weder das Wahlprogramm der FDP noch das der CDU werden komplett in den Koalitionsvertrag übernommen werden. Die Programme sind die Verhandlungsgrundlage. Wir haben knapp 13 Prozent Stimmen bekommen, so viel wie noch nie. Aber wir wissen auch, dass uns 87 Prozent nicht gewählt haben. Ich weiß, dass die CDU ihr Profil in der Koalition schärfen will. Aber das gleiche Recht beanspruche ich für die FDP. Das ist eine Frage der Selbstachtung und Fairness.

Frage: Früher wurden schwarz-gelbe Bündnisse als politische Richtungsentscheidungen aufgeladen. Helmut Kohl sprach von einer geistig-moralischen Wende, Guido Westerwelle später von einer geistig-politischen. Wie sehen Sie das heute?

Lindner: Entspannter. Ich rate zu ideologischer Abrüstung. Die Parteien sind anders geworden, stärker auf Eigenständigkeit bedacht. Die Gesellschaft ist vielfältiger, die Aufgaben komplexer. Ich sehe eine Koalition als Projekt: Es geht um eine zeitlich beschränkte Zusammenarbeit, um konkrete Ziele umzusetzen. Mit der großen Mentalitätswende überfordert und überfrachtet man Politik.

Frage: Was sind Ihre Kernforderungen in Düsseldorf?

Lindner: Wirtschaftlich wollen wir die bürokratischen Fesseln von Rot-Grün lösen. Wir wollen vom Kindergarten bis zur Hochschule die Bildung modernisieren, damit junge Menschen bessere Chancen haben und Freude an Leistung vermittelt wird. Wir wollen den Rechtsstaat stärken, damit die Menschen sich auf die öffentliche Ordnung wieder verlassen können, ohne dass in ihre Bürgerrechte unverhältnismäßig eingegriffen wird.

Frage: Was sind die Knackpunkte?

Lindner: In allen Themenfeldern gibt es Knackpunkte. Insbesondere dort, wo die Politik der großen Koalition in Berlin sich auf NRW auswirkt: bei Wirtschaft, Energie und Zuwanderung. Deshalb begrüße ich, dass Armin Laschet erklärt hat, er wolle die Interessen des Landes stärker als bisher gegenüber dem Bund vertreten. Die FDP könnte keiner Regierung angehören, die sich nur als verlängerte Werkbank der großen Koalition in Berlin versteht.

Frage: Schwarz-Gelb hat nur eine Stimme Mehrheit im Landtag, das heißt: Jeder einzelne Abgeordnete hat ein Vetorecht. Kann die in den vergangenen Jahren oft zerstrittene Landes-CDU eine ausreichende Geschlossenheit sicherstellen? Und können Sie es?

Lindner: Ich vertraue Armin Laschet da. Für meine Fraktion gilt: Wir sind 28 Abgeordnete, die darauf brennen, etwas zu verändern.

Frage: Sie gehen im September nach Berlin, Generalsekretär Johannes Vogel ebenfalls. Hat die FDP überhaupt Personal für eine Regierung, oder werden Sie externe Fachleute dazu holen?

Lindner: Wir wollen erst eine inhaltliche Verständigung erreichen. Über das Personal reden wir danach.

Frage: Als Spitzenkandidat der FDP für den Bund sind Sie eigentlich schon wieder im Wahlkampf. Wie soll das gehen: Konstruktiv mit der Laschet-CDU verhandeln und gleichzeitig die Merkel-CDU attackieren? Oder gehen Sie jetzt auf Kuschelkurs mit der Kanzlerin?

Lindner: Wir machen es ganz einfach wie bisher: Wir werben eigenständig für unser Lebensgefühl und unsere Projekte. Nach der Wahl geht man dann mit Ergebnissen um. In Düsseldorf verhandeln wir daher über Schwarz-Gelb, in Kiel über Jamaika, in Mainz regieren wir mit SPD und Grünen. Besser kann man doch gar nicht zeigen, dass wir eine eigenständige, aber auch konstruktive und kompromissbereite Partei sind. Eigenständigkeit heißt ja nicht, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Eigenständigkeit heißt aber eben auch nicht Beliebigkeit. In Baden-Württemberg zum Beispiel haben wir die Oppositionsrolle einer Ampel-Koalition vorgezogen, weil es keine hinreichende Möglichkeit für einen Politikwechsel gab. In Nordrhein-Westfalen wäre es bei einem anderen Wahlausgang mit Sozialliberal unter Hannelore Kraft genauso gekommen. Deren Politik hätten wir keinesfalls mitgetragen.

Frage: Welche dieser Konstellationen favorisieren Sie für Berlin?

Lindner: Wir kennen die Wahlprogramme von CDU und SPD bis dato nicht. Ich freue mich, dass Herr Schulz unser Anliegen weltbeste Bildung übernommen hat, wenngleich das bei ihm noch schwammig ist. Dafür sind wir finanzpolitisch von der SPD weit entfernt. Mit der CDU gibt es Gemeinsamkeiten in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Da stimmt die Richtung, allerdings nicht das Tempo. Dafür gibt es im Feld der Innen- und Gesellschaftspolitik Differenzen. Sie wissen, dass wir auch die Flüchtlingspolitik und die Euro-Entscheidungen von Frau Merkel kritisch sehen.

Frage: Sie haben sich jüngst mit Jens Spahn und Alexander Dobrindt von CDU und CSU beim Essen ablichten lassen. Gab es solche Treffen auch mit SPD und Grünen?

Lindner: Das war ein Treffen ohne taktischen Hintergrund. Ich bin mit beiden seit Langem in engem Austausch. Mit Cem Özdemir von den Grünen aber auch. Da gibt es keine Exklusivität.

Frage: Sie haben die FDP nach dem Desaster bei der Bundestagswahl 2013 mit dem Ziel übernommen, die Partei in den Bundestag zurückzuführen. Kann da noch etwas schiefgehen?

Lindner: Das Comeback der FDP im Bund ist wahrscheinlicher geworden, aber nicht sicher. Schauen Sie auf Martin Schulz, aus dessen Höhen- in wenigen Wochen ein Tiefflug geworden ist. Ich sage das ohne Häme. Wir leben in Zeiten, in denen sich Lagen rasend schnell verändern. Was mich zuversichtlich stimmt: Die FDP hat seit 2015 bei jeder Wahl zugelegt, wir haben Erfahrungen und Mitglieder gesammelt. Mal ging die Entwicklung schneller, mal langsamer. Aber es geht Schritt für Schritt nach vorn. Die Menschen waren so großzügig, die FDP in einer schwierigen Phase zu unterstützen. Deshalb bin ich überzeugt: Das Comeback der FDP ist kein Hype, sondern Teil einer echten Reetablierung einer veränderten Partei. Wir sind heute eine andere FDP als die, die 2013 ausgeschieden ist.

Frage: Was für eine?

Lindner: Die einzige Partei, die umfassend für Liberalität steht. Sicher haben andere Aspekte liberalen Denkens im Programm. Aber Individualität, Fortschritt durch wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheit, den Glauben an den selbstbestimmten und vernünftigen Menschen – das gibt es so nur bei der FDP. Und wir sind nicht allein: Dieses Lebensgefühl erlebt derzeit in vielen Ländern Europas eine Renaissance.