header-placeholder


image header
image
Christian Lindner  Martin Rulsch  1

FDP / LINDNER-Interview: Sollten neue TTIP-Verhandlungen anbieten

28. April 2018

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner (Foto) gab der Passauer Neuen Presse (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Herholz.

Frage: Kanzlerin Angela Merkel hat bei ihrem Besuch in Washington mit US-Präsident Trump über Lösungen des Handelskonfliktes beraten. Wie kann eine Eskalation noch verhindert werden?

Lindner: Der Deutsche Bundestag sollte schnellstmöglich das Freihandelsabkommen mit Kanada ratifizieren. In Brüssel sollte sich die Bundesregierung dafür stark machen, dass wir ähnliche Vereinbarungen mit Japan und Südkorea schließen. Das wäre ein Signal an Herrn Trump, dass wir über Alternativen zum Handel mit den USA verfügen und am freien Welthandel festhalten wollen. Das öffnet vielleicht wieder die Türen zu Verhandlungen mit Washington. Wenn der US-Präsident auf geringere Einfuhrzölle für amerikanische Autos in Europa drängt, sollte man ein Paket auch mit der Beseitigung von anderen für Europa schädlichen Handelshemmnissen schnüren. Das ganze hätte einen Namen: TTIP. Wir sollten den USA die Wiederaufnahme der TTIP-Verhandlungen anbieten. Davon würden beide Seiten profitieren. 

Frage: Die EU erwägt, selbst auch Strafzölle auf amerikanische Produkte zu erheben. Ein sinnvoller Schritt?

Lindner: Statt die Eskalationsspirale weiter zu drehen und einen Handelskrieg herbeizuführen, sollte man auf Entspannung setzen und den Konflikt entschärfen. Wir sollten an einer Win-Win-Situation arbeiten. In einem Handelskrieg verlieren alle. Europa muss mit einer Stimme sprechen. Es kann nicht sein, dass jedes europäische Regionalparlament über Fragen des Welthandels mitentscheidet. Künftig sollten solche Handelsabkommen von der Europäischen Kommission verhandelt und dann vom Europäischen Parlament ratifiziert werden. 

Frage: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist in Washington mit offenen Armen und freundlichen Gesten empfangen und gefeiert worden. Kanzlerin Merkels Besuch fiel dagegen kurz, knapp und nüchtern aus. Ist Macron jetzt die neue Nummer Eins in Europa?   

Lindner: Europa hat viel zu lange auf Frau Merkel gewartet. Union und SPD ziehen bei der Reform Europas nicht an einem Strang. Der Koalitionsvertrag und die Regierungserklärung der Kanzlerin passen nicht zusammen. Vor den Landtagswahlen in Hessen und Bayern sollte die Bundesregierung ausschließen, dass es zu einer gemeinsamen Einlagesicherung in Europa kommt, die Sparkassen und Volksbanken mit einbezieht. Diese Illusion muss Deutschland den europäischen Partnern nehmen. Die deutschen Kunden der Sparkassen und Volksbanken dürfen nicht für in Schieflage geratene Bankhäuser in Venedig oder Neapel haften. 

Frage: Es gibt Befürchtungen, dass es für Griechenland doch einen Schuldenschnitt durch die Hintertür geben könnte. Teilen Sie diese Sorge?

Lindner: Es steht zu befürchten, dass ein Schuldenschnitt für Griechenland geplant wird. Schuldenerleichterungen für Athen darf es nicht ohne Gegenleistungen geben. Der bisherige Rettungskurs darf nicht aufgeweicht werden. Das würde Tür und Tor für andere in Europa öffnen, Politik auf Pump zu machen. In Paris, Rom und in anderen Hauptstädten denkt man bereits wieder darüber nach, Politik auf Pump zu machen.   

Frage: Im Regierungsentwurf für den Haushalt 2018 sind üppige Ausgabensteigerungen geplant. Wären da nicht stärkere Entlastungen für die Steuerzahler drin?

Linder: Die Bundesregierung gibt das Geld mit vollen Händen aus, als gäbe es kein Morgen. Sie spart nur bei den Entlastungen der Steuerzahler. Wenn Union und SPD vernünftig haushalten würden, hätten wir einen Haushaltsüberschuss, der zurück in die Brieftaschen der Steuerzahler gehört. Stattdessen werden Staatstätigkeit, Bürokratie und Ministerialverwaltung maßlos ausgedehnt. Die OECD hat gerade ermittelt, dass die Beschäftigten in Deutschland bei der Belastung ganz vorne stehen bei Steuern und Sozialabgaben. Deswegen ist es empörend, dass Olaf Scholz in der mittelfristigen Finanzplanung kein Verständnis für die Situation von Familien, Facharbeitern und Ingenieuren zeigt. Die müssen Steuern und Sozialabgaben zahlen, bis es kracht.

Frage: Im Haushalt ist weder eine Vorsorge für die Folgen des Brexit vorgesehen noch für den Fall eines Konjunkturabschwungs. Ist das nicht Finanzplanung nach dem Prinzip Hoffnung?

Lindner: Schlimmer noch: Wenn man sich die Entwicklung der Sozialkassen anschaut, dann stehen wir vor dem Abgrund und geben noch Gas. Um die Mütterrente zu finanzieren, werden enorme Mittel in die Rentenkasse fließen müssen. Aber für die Menschen zwischen 20 und 30 wird keine Vorsorge getroffen. Das ist geradezu töricht. Die rentenpolitischen Entscheidungen der Großen Koalition werden den Bundeshaushalt in den nächsten Jahren stark ins Defizit ziehen. Wenn Bürgerinnen und Bürger und Betriebe jetzt nicht entlastet werden, dann wird unsere Wettbewerbsfähigkeit sinken und die Unzufriedenheit der qualifizierten Leistungsträger in der Gesellschaft – vom Krankenpfleger bis zum Ingenieur – wird weiter steigen. 

Frage: In Bayern gibt es wieder Streit um das Kruzifix. In allen Landesbehörden sollen Kreuze hängen. CSU-Generalsekretär Markus Blume nennt die Kritiker dieser Entscheidung Religionsfeinde. Was halten Sie von Kreuzen in Behörden?

Lindner: Die Kritik des CSU-Generalsekretärs kommt ja wie ein Bumerang zurück: Feinde der Religion sind nicht die Kritiker von Herrn Söder, Feind der Religion ist Herr Söder selbst. Denn er hat das Kreuz zu einem Symbol unserer Kultur unseres Staates erklärt, damit profanisiert und damit von seiner christlichen Bedeutung getrennt. Söder hat sich mit dieser populistischen Symbol-Wahlkampfaktion zwischen alle Stühle gesetzt. Gläubige Christen muss es empören, dass er aus ihrem Symbol ein Symbol des Staates macht. Die säkularen, liberalen Bürgerinnen und Bürger, die an Toleranz interessiert sind und Religion für ein persönliches Bekenntnis, aber nicht für eine Sache der Politik halten, dürften entsetzt sein über dieses Manöver im Vorwahlkampf zur Bayern-Wahl.