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Fam Geschichte Katze

Lucy & Dicki, Teil 1 – Eine Geschichte von Annemarie Stern aus Haldensleben

Lucy, das Findelkätzchen

22. Juli 2018


Eine Geschichte von Annemarie Stern

Lucy ist ein echtes Findelkind. Ihre Katzenmama legte das kleine vier Wochen junge Katzenbaby bei Undine und Helmut auf dem Hof ab. Dort schrie es die ganze Nacht vor Furcht und Einsamkeit. Erst am Morgen wurde das total verängstigte Kätzchen von den Bewohnern des Einfamilienhauses gefunden. Die fürsorgliche Hausfrau legte das zitternde Tierchen in einen gut ausgepolsterten Plastikeinkaufskorb. Es lag wie die Prinzessin auf der Erbse: auf einem Stuhlkissen, einem wolligen Flanelloberhemd und einem flauschigen Badetuch. Dort kuschelte es sich hinein – aber es jammerte immer noch vor sich hin. Also fuhr die mitleidige Hausfrau in den Supermarkt, kaufte Katzenmilch und ein Fläschchen mit Liebesperlen. Die Liebesperlen verspeiste das Frauchen während der Autofahrt. Die kleine Nuckelflasche aber wurde zu Babys zweiter Nahrungsquelle. Gierig, sich immer wieder verschluckend und sabbernd, verspeiste es die angewärmte Katzenmilch. Als das Katzenbaby dann satt und zufrieden einschlief und wie eine wollige Kugel in ihrem Nest lag, eroberte es die Herzen ihrer neuen Familie im Nu. Katzenmama Undine sagte zu ihrem Mann Helmut: „ Ich denke, das Katzenkind werden wir behalten. Nun müssen wir nur noch einen schönen Namen für sie finden, denn es ist ein Mädchen. Susi, nee, Susi hatten wir schon! Pussi, Minka und Emma auch!“ „Wie wär’s mit Lucy?“, fragte Helmut gespannt. Als hätte das Kätzchen gemerkt, dass von ihm die Rede war, öffnete es die Augen und gab eine kleine Schnurreinlage, bevor es zufrieden wieder einschlief. 

Lucy bekam auch vom ersten Tag an ein Katzenklo, natürlich Marke Eigenbau. Es war aus einer entsorgten Emaille-Auflaufform, die mit Katzenstreu gefüllt wurde. Damit Lucy mit ihren kurzen, tapsigen Beinchen in das Katzenklo auch bequem einsteigen konnte, baute Vater Helmut ein Podest. Zur Freude von Helmut und Undine benutzte sie ihr Klo vom ersten Tag an! Am meisten aber liebte Lucy einen Pappkarton mit ganz viel Raschelpapier! Dort sprang sie hinein, biss und riss das Papier, dass die Fetzen nur so flogen. Dabei sprang sie in die Höhe, drehte sich wie ein Kreisel um sich selbst, um dann erschöpft auf dem so schön knisternden Papier einzuschlafen. 

So wuchs Lucy, von ihren Menschen geliebt und verwöhnt, zu einer richtigen Katzenschönheit heran. Mit einem ganz eigenen Charakter. Und sie glaubt inzwischen, SIE sei die Herrin des Hauses! Aber leider ist Lucy keine Schmusekatze. Sie schmust mit ihren Menschen nur, wenn ihr der Sinn danach steht. Wenn nicht, schiebt sie mit ihrer Pfote die streichelnde Hand weg. Duckt sie dann ihren Kopf und sieht sie dann auch noch mit einem drohenden Murren ihr Frauchen böse an, ist es Zeit, mit dem Liebkosen und Schmusen aufzuhören. Sonst wehrt sich Lucy mit einem Biss in die Finger. Darum muss ihr Frauchen sie vorher fragen: „Darf ich dich streicheln, Lucy?“ Und Lucy überlegt. Wenn Lucy dann ihren Kopf ein wenig hebt, heißt das: „ Ja, aber nur ein kleinwenig. Dann hast du deinen Willen gehabt und ich genieße danach wieder meine Ruhe.“ 

Gern begleitet sie ihr Frauchen auch auf den Boden zum Wäscheaufhängen. Dort ist es dämmrig und sehr geheimnisvoll. Lucy versteckt sich und springt dann mit einem gewaltigen Satz zu ihrem Frauchen und umklammert deren Beine. Wenn dann das Frauchen laut „Huuuuch!“ schreit, hüpft sie mit einem fröhlichen Quiekser in ihr Versteck zurück. Dieses Spiel liebt Lucy sehr. 

Fährt Frauchen zum Einkaufen, sitzt Lucy auf dem Hoftorpfosten und wartet. Sie erkennt das Auto schon von weitem an seinem Geräusch. Rollt das Auto auf den Hof, dann ist Lucy, noch vor ihrem Herrchen, sofort zur Stelle. Sie umschmeichelt laut schnurrend  die Beine ihres Frauchens. Gespannt wartet sie, bis das große Fleischpaket ausgepackt wird. Dann kennt ihre Gier keine Grenzen mehr. Laut miauend und plärrend folgt sie ihrem Frauchen in die Küche, als wäre sie am Verhungern! Beim Knistern des Einwickelpapiers gebärdet sie sich fast wie verrückt, bis sie einen Klecks vom Schabefleisch auf ihren Teller bekommt. Wenn es ihr nicht schnell genug geht, haut sie ihre Pfote mit den ausgefahrenen Krallen auch schon mal an das Schienbein ihres bummeligen Frauchens! Das tut echt weh! Frauchen sagt dann laut: „Böse Lucy“, und greift zum Besen. Da läuft Lucy vorsichtshalber flink die Treppe hinauf und lugt von oben durch die oberste Sprosse vom Treppengeländer, bis ihr Frauchen den Besen wieder wegstellt. Erst, wenn die Luft wieder rein ist und ihr Herrchen in die Küche kommt und ruft: „Wo ist denn meine Schöne?“, läuft Lucy so schnell sie kann zu ihrem Futternapf. Manchmal, aber wirklich nur ganz selten, legt Frauchen das Wurstpaket auch mal unbeaufsichtigt auf dem Tisch ab. Dann ist Lucy sofort zur Stelle, reißt das so gut duftende Paket mit ihren spitzen Krallen auf. Ehrlich, sie will nur helfen! Sie schnurrt ihrem entsetzt aufschreienden Frauchen zu: „Ich habe schon alles probiert und ich kann dir sagen: Guter Einkauf, es schmeckt alles vorzüglich!“ Lucy, die kleine Diebin! 

Inzwischen ist Lucy zu einem richtigen Katzenfräulein herangewachsen. Sehr gern ärgert sie den Hund des Nachbarhauses. Sie setzt sich in das Giebelfenster und putzt sich laut schnurrend. Wenn Rex, der Hund, sie dann erspäht hat, bellt er drohend zum geöffneten Fenster hinauf. Dann rekelt sich Lucy aufreizend, posiert in den unmöglichsten Stellungen. Rex’ Bellen geht in ein klagendes Heulen über, weil er die Katze nicht erreichen kann. Das Spiel dauert so lange, wie es Lucy gefällt.

Aber Lucy ist auch eine sehr mitfühlende, aufmerksame Hausgenossin. An einem Tag im Frühling erkrankten sowohl die Katzenmama Undine, als auch der Katzenpapa Helmut. Lucy versorgte beide abwechselnd. Sie putzte von der Katzenmama mit ihrer rauen Zunge den Schweiß von der Stirn und schmuste mit ihr. Dann lief sie emsig zu ihrem Katzenpapa, um ihm schnurrend den nötigen Genesungsschlaf zu bringen. Sie kroch in sein Bett, um ihn zu wärmen. Das war echt harte Arbeit, da sie keinen ihrer beiden Lieblingsmenschen vernachlässigen wollte. Aber Lucy war mit viel Liebe eifrig bei ihrem Tun. Sie war sehr froh, dass dank ihrer Hilfe, ihre beiden Menschen wieder gesund geworden sind. Denn sie sind ja auch Familienmitglieder! 

Sie sind ihre Familie!­­