Studien legen bei Präventionsprogrammen Fokus auch auf
sozial Benachteiligte nahe. Herzspezialisten fordern mehr Priorität für
gezielte Präventionskonzepte zur Bekämpfung der Herzinfarkt-Sterblichkeit
(Frankfurt a. M./Berlin, Februar 2019) Die
Präventionsmedizin muss viel gezielter auf Unterschiede im Gesundheitsverhalten
der Bevölkerung, darunter auch soziale Aspekte wie Bildung und
Arbeitslosigkeit, eingehen. „Vorbeugung richtet sich an Kinder, Jugendliche und
Erwachsene aller Altersgruppen aus unterschiedlichen sozialen Milieus – das
sind herzgesunde wie chronisch herzkranke Menschen, deren Lebensqualität und
Prognose wir durch immer bessere Therapien, aber eben auch durch viel mehr
flächendeckende Prävention verbessern und erhalten müssen“, unterstreicht Prof.
Dr. med. Rainer Hambrecht vom Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen
Herzstiftung und Chefarzt für Kardiologie am Klinikum Links der Weser in Bremen
anlässlich der Vorstellung des „Deutschen Herzberichts 2018“ (www.herzstiftung.de/herzbericht)
in Berlin.
Rauchen und Übergewicht häufiger in sozial benachteiligten
Stadtgebieten
Untersuchungen des von Hambrecht geleiteten Bremer
Herzinfarkt-Registers („STEMI-Register“) an über 3.400 Herzinfarktpatienten in
der Region Bremen und dem umliegenden Niedersachsen haben gezeigt, dass
Herzinfarkt-Patienten je nach Alter und sozioökonomischem Status
unterschiedlich mit den Möglichkeiten der lebensstilbedingten Senkung von
Herzinfarkt-Risikofaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel oder Übergewicht
umgehen. „Raucher und stark übergewichtige Personen mit einem erhöhten
Herzinfarkt-Risiko und Herzinfarkt-Patienten waren häufiger in sozial
benachteiligten als in besser gestellten Stadtgebieten anzutreffen“, berichtet
Hambrecht und fügt hinzu, dass diese Häufung von Infarkten zudem ausgeprägter
bei den jüngeren unter 50-jährigen Personen in den sozial benachteiligten
Stadtteilen anzutreffen gewesen sei.
Auch in der Fünf-Jahres-Langzeit-Prognose zeigten sich
schwerwiegende Herz-Kreislauf-Komplikationen wie Herzinfarkt und Schlaganfall
stärker in diesen Stadtgebieten. „Diese Daten bestärken Präventionskonzepte,
die auf sozial benachteiligte Personen und ,Brennpunkt‘-Stadtteile fokussieren,
um die Herzinfarkt-Erkrankungshäufigkeit und -Sterblichkeit zu senken“, heißt
es im Herzbericht. „Unsere Daten legen vor allen Dingen nahe, dass ein
lückenloses Tabakwerbeverbot in Deutschland längst überfällig ist, um die
Raucherquote besonders unter den Jugendlichen effektiv einzudämmen.“
Jährlich kommt es zu über 218.000 Klinikeinweisungen
wegen Herzinfarkten in Deutschland, rund 49.000 Menschen sterben daran. Hinzu
kommen die Koronare Herzkrankheit (KHK) mit über 73.000 Sterbefällen (ohne
Herzinfarkt) und die Herzschwäche mit über 40.000 Gestorbenen. Die durch
Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachten Kosten in der EU beziffern Wissenschaftler
nach Schätzungen mit 210 Mrd. Euro pro Jahr. „Eine beträchtliche Zahl
Krankenhausaufnahmen und Todesfälle aufgrund von Herzerkrankungen könnte auch
deutlich verringert werden, wenn die Menschen mehr Vorsorge betrieben.“ Studien
zufolge sind 90 % aller Infarkte durch einen ungesunden Lebensstil bei Männern
und Frauen zu erklären* (Rauchen, Bewegungsmangel, Fettleibigkeit).
Tipps unter: www.herzstiftung.de/ausdauer-verbessern
Schlechte Einstellung der Herzinfarkt-Risikofaktoren bei
KHK-Patienten
Ein weiteres Problem stellt die unzureichende Einstellung
von Herz-Kreislauf-Risikofaktoren bei Herzpatienten im klinischen Alltag dar.
Beim Vergleich von Versorgungsdaten von mehreren Tausend KHK-Patienten in
Europa aus den Untersuchungen EUROASPIRE IV (6.905 Pat.) und EUROASPIRE V
(4.793 Pat.) im Fünf-Jahres-Abstand ergab: Die Zahl der Raucher und inaktiven
Patienten hat sich deutlich verschlechtert, die Rate der Patienten mit
Adipositas (Fettleibigkeit) hat sich deutlich erhöht. Zwei Drittel der
Patienten erreichten nicht den LDL-Cholesterin-Zielwert bei KHK (niedriger als
70 mg/dl). Ähnliche Befunde zeigte für den deutschen Kontext das Bremer
STEMI-Register: „Nicht mal ein Drittel der Herzinfarkt-Patienten erreichte den
LDL-Cholesterin-Zielwert und nur zwölf Prozent erreichten den BMI- oder
Body-Mass-Index-Zielwert“, bestätigt Hambrecht.
Von den über 75.500 Herzpatienten in kardiologischer Reha
(2017) hatten rund 38 % Patienten die Diagnose KHK und 21 % Herzinfarkt. Die
Ergebnisse der EUROASPIRE-V-Studie und des Bremer STEMI-Registers zur
unzureichenden Einstellung der Risikofaktoren übertragen auf diese
Patientenzahl zeigt, wie enorm wichtig gezielte Präventionskonzepte sind, die
nachhaltig eine Verdrängung beeinflussbarer Risikofaktoren wie körperliche
Inaktivität, Rauchen und Stress ohne Ausgleich bewirken und so erneute
Herzinfarkte, Krankenhausaufnahmen infolge einer Entgleisung der Herzkrankheit
oder die Entstehung neuer Begleiterkrankungen verhindern. „Die medizinische
Versorgung ist ein Eckpfeiler. Darüber hinaus sollten aber Länderministerien
mehr in Vorsorge-Programme investieren, die zur Schaffung förderlicher
Bedingungen für ausreichend Bewegung, gesunde Ernährung in Kitas, Schulen,
Betrieben besonders in benachteiligten Wohnquartieren beitragen“, empfiehlt der
Bremer Herzspezialist und Autor des Präventionskapitels im neuen Herzbericht.
*Interheart-Studie, Lancet 2004
Schutz vor erneutem Herzinfarkt: Langzeit-Prävention mit
Präventions-Assistenten
Weil Effekte der Rehabilitation bei Herzpatienten
meistens nur für begrenzte Zeit nachwirken, gewinnen Individual-medizinische
Präventionsprogramme für Langzeiteffekte an Bedeutung. Das zeigt das von Prof.
Rainer Hambrecht geleitete, von der Herzstiftung mit über 63.000 Euro
geförderte Präventionsprogramm IPP („Intensives Präventions-Programm nach
akutem Myokardinfarkt in Nordwest-Deutschland“). Ergebnisse der randomisierten
IPP-Studie mit 310 Herzinfarktpatienten zeigen, dass ein langfristiges intensives
Präventionsprogramm mit Schrittzählern, telemedizinischer Beobachtung,
regelmäßigen Gruppenfortbildungen und Telefonkontakten hilft, die körperliche
Aktivität und die Einstellung der Infarkt-Risikofaktoren und die Lebensqualität
der Patienten nach sechs Monaten zu verbessern.
Eine Schlüsselrolle spielen die medizinischen
Präventions-Assistenten, die die Zusammenarbeit zwischen Klinik, Hausarzt und
Kardiologen koordinieren und einen engmaschigen Kontakt zu Patienten und
Angehörigen halten. Die IPP-Gruppe wurde mit einer Kontrollgruppe
(Standardversorgung) verglichen. Wohlgemerkt: Beide Gruppen mit
Herzinfarktpatienten hatten gerade eine dreiwöchige stationäre oder ambulante
kardiologische Rehabilitation durchlaufen und waren in punkto Risikofaktoren
bestens eingestellt. Trotzdem konnten Patienten der IPP-Gruppe ihre Werte im
Unterschied zur Kontrollgruppe innerhalb von sechs Monaten zusätzlich
verbessern: Steigerung der täglichen Schrittzahl um mehr als 30 %, Senkung des
Body Mass Index (BMI) im Schnitt um 3,9 %, Senkung von Blutdruck und
LDL-Cholesterin-Wert um jeweils 4,9 %. In einer Subanalyse, in der die
Studienteilnehmer nach ihrem Schulabschluss klassifiziert wurden, zeigte sich,
dass Patienten mit Hauptschulabschluss zu Studienbeginn mehr Risikofaktoren
hatten als Patienten mit Abitur. Durch IPP konnte aber gerade bei den Patienten
mit Hauptschulabschluss eine hochsignifikante Verbesserung der Risikofaktoren
erreicht werden.
Text - Quelle: Deutsche Herzstiftung e. V.