Forscher des HZI und HIPS haben
entdeckt, dass resistente Bakterien den Wirkstoff Albicidin mithilfe eines
massenhaft gebildeten Proteins einfangen und inaktivieren
Gegen die immer häufiger auftauchenden multiresistenten Keime verlieren gängige Antibiotika zunehmend ihre Wirkung. Viele Bakterien haben natürlicherweise Mechanismen erworben, die sie vor schädlichen Substanzen schützen. So auch gegen den Wirkstoff Albicidin: Gefährliche gramnegative Bakterien besitzen ein Protein, das das Albicidin bindet und so inaktiviert. Diesen Resistenzmechanismus haben jetzt Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) und des zugehörigen Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) mit atomarer Auflösung untersucht.
Dabei fanden sie heraus, dass das Protein
den Wirkstoff nicht nur bindet, sondern ihn auch chemisch verändert.
Gleichzeitig kurbelt es seine eigene Produktion an, sodass Albicidin noch
effizienter unschädlich gemacht wird. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die
Wissenschaftler im Journal of the American Chemical Society.
Krankheitserregende Bakterien haben verschiedene Mechanismen entwickelt, um sich gegen Antibiotika zu schützen. Manche scheiden die für sie giftigen Substanzen einfach aus, andere verändern ihre Zellwand, sodass Antibiotika gar nicht erst in sie eindringen können. Einige Keime verändern die von Antibiotika angegriffene Zielstruktur – oder einfach direkt das Antibiotikum.
Einen weiteren Trick wenden zum Beispiel
Bakterien der Gattung Klebsiella an: Sie besitzen ein Eiweißmolekül mit der
Bezeichnung AlbA, das an das Antibiotikum Albicidin bindet und die Erreger so
vor dessen Wirkung schützt. Den zugrundeliegenden Abwehrmechanismus haben
Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI), des
Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) – einer
Einrichtung des HZI in Kooperation mit der Universität des Saarlandes (UdS) –
und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) untersucht.
Der Keim Klebsiella pneumoniae ist einer der häufigsten Erreger von bakterieller Sepsis und im Krankenhaus erworbenen Lungenentzündungen, kann aber zum Beispiel auch Harnwegsinfekte auslösen. Klebsiellen gehören zu den schwer behandelbaren gramnegativen Bakterien und bilden häufig gegen mehrere Antibiotika Resistenzen aus.
Wissenschaftler des HZI haben gegen gramnegative Keime bereits eine neue, gut
wirksame Wirkstoffklasse entdeckt: die Cystobactamide. „Diese Stoffklasse ist
dem Albicidin ähnlich, gegen das viele Klebsiella-Stämme bereits eine Resistenz
zeigen“, sagt Juniorprofessor Jesko Köhnke, der am HIPS die Nachwuchsgruppe
„Strukturbiologie biosynthetischer Enzyme“ leitet. „Wir wollten wissen, ob das
Protein AlbA auch gegen Cystobactamide wirksam ist, und haben dazu den
Mechanismus der Albicidinresistenz auf molekularer Ebene analysiert.“
Hierzu fand sich ein interdisziplinäres Wissenschaftler-Team um Jesko Köhnke zusammen, in dem die Abteilung von Prof. Mark Brönstrup die Synthese, die Arbeitsgruppe um Prof. Olga Kalinina die Bioinformatik und die Abteilung von Prof. Rolf Müller Aktivitätstests und Genexpressionsprofile durchgeführt haben. Zunächst wurde die dreidimensionale Struktur des Proteins AlbA mit dem gebundenen Albicidin mittels Röntgenstrukturanalyse entschlüsselt.
Dabei fiel den Wissenschaftlern
auf, dass aus einer kleinen Bindetasche für das Antibiotikum im Laufe der
Evolution ein langer Tunnel geworden ist, in dem das Albicidin passgenau Platz
findet. Die Strukturanalyse lieferte zudem noch ein weiteres erstaunliches
Ergebnis: Das gebundene Albicidin war chemisch verändert. „Ursprünglich gingen
wir davon aus, dass AlbA das Albicidin einfach nur aufnimmt – wie ein Schwamm
das Wasser – und es so vorübergehend beseitigt. Doch nun haben wir
herausgefunden, dass es das Albicidin sogar verändert“, sagt Köhnke. Weitere
Experimente haben gezeigt, dass das veränderte Albicidin eine schwächere
Aktivität aufweist, also weniger schädlich für die Bakterien ist.
Die Wissenschaftler entdeckten, dass AlbA neben der Bindestelle für das Antibiotikum auch eine für DNA besitzt. Mit diesem Abschnitt kann es an das Erbmaterial der Bakterienzelle binden – und zwar genau dort, wo die Produktion von AlbA gesteuert wird.
In
Laborexperimenten mit Klebsiella pneumoniae konnte das Team um Jesko Köhnke
nachweisen, dass bei der Gabe von Albicidin das Gen mit dem Bauplan für AlbA
nach vier Stunden 3000-mal häufiger abgelesen wurde als ohne Antibiotikum. „Der
Mechanismus der Klebsiellen gegen Albicidin ist äußerst effektiv: Kommen sie
damit in Berührung, fangen sie erste Wirkstoffmoleküle mit ihrem Protein AlbA
ein. Gleichzeitig produzieren sie immer mehr AlbA. Wir konnten aber auch
zeigen, dass diese Mechanismen für eine Resistenz noch nicht ausreichen, was
wir jetzt genauer untersuchen wollen“, sagt Köhnke.
Vergleichende Experimente haben
gezeigt, dass der verwandte Wirkstoff Cystobactamid deutlich schwächer von AlbA
gebunden wird. Zudem kurbelt er auch nicht die Produktion von AlbA an, sodass
Klebsiellen mit diesem Mechanismus bislang keine Resistenz gegen Cystobactamid
erreichen können. „Trotzdem sind die Bakterien gegen Cystobactamid resistent.
Daher möchten wir die Mechanismen so genau wie möglich aufklären, um dann
Wirkstoffe entwickeln zu können, die die Resistenzen umgehen“, sagt Köhnke.
Quelle: Helmholtz Zentrum