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Christian Lindner  Martin Rulsch  1

LINDNER-Interview: Wir können woanders CO2 einsparen

Freitag, den 18. Januar 2019


Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner (Video) gab der „WirtschaftsWoche“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Benedikt Becker und Sven Böll.


Frage: Herr Lindner, wie lange gibt es den Solidaritätszuschlag noch?

Lindner: Er wird entfallen - für alle.

Frage: Sie sind aber optimistisch. Union und SPD haben doch vereinbart, die Abgabe für die oberen zehn Prozent der Steuerzahler über 2021 hinaus beizubehalten.

Lindner: Ja, das war die alte CDU-Position, an der unter anderem die Jamaika-Sondierungen gescheitert sind. Und das steht im Koalitionsvertrag mit der SPD. Aber die CDU hat eine Wende hingelegt und will den Soli nun wie wir für alle abschaffen. Für Annegret Kramp-Karrenbauer ist das jetzt eine Frage der Glaubwürdigkeit und Durchsetzungsfähigkeit gegen die SPD. Man darf gespannt sein. Falls sie nicht erfolgreich ist, werden wir 2020 gegen den verfassungswidrigen Soli klagen. Dann erklärt ihn eben Karlsruhe für nichtig.

Frage: Sehen Sie jenseits der Steuerpolitik bei Frau Kramp-Karrenbauer weitere Signale, die eine Zusammenarbeit mit der FDP wahrscheinlicher machen?

Lindner: Das ist offen. Es gibt zwar keine Taten in der Migrationspolitik, aber neue Worte. Aus der CDU sind wir denunziert worden, weil wir die Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik seit 2015 auf den Prüfstand stellen wollten. Doch genau das will die neue CDU-Chefin nun machen.

Frage: Für eine parlamentarische Mehrheit brauchten Sie auch die Grünen, denen Sie einen Linksruck vorwerfen.

Lindner: Verbot des Verbrennungsmotors, 30 Milliarden Euro mehr Steuern, kein Fördern und Fordern bei Hartz IV - die Grünen sind offensichtlich eine linke Partei.

Frage: Aber wie wollen Sie dann jemals eine Jamaika-Koalition schmieden?

Lindner: Warten wir mal die Wahlen ab. Wir laufen jedenfalls nicht weg, wenn die Union mit uns sprechen will. Aber ob der Erfolg von Gesprächen mit den Grünen heute wahrscheinlicher wäre als vor einem Jahr, weiß ich nicht. Damals wollte die Union den Grünen zu viel zugestehen.

Frage: Täuscht der Eindruck, dass Sie sich besonders gern an Grünen-Chef Robert Habeck abarbeiten?

Lindner: Ja. Dazu gäbe es keinen Anlass.

Frage: Warum streiten Sie dann öffentlich besonders gern mit ihm?

Lindner: Weil ich zufällig mit ihm in dieselben Sendungen eingeladen werde - und ich jenseits von edlen Worten gerne über Fakten spreche. Gerade in der Klimapolitik. Zum Beispiel halte ich das, was die Grünen wollen, für Klimanationalismus. Denn alle ihre Forderungen zur C02-Reduktion helfen nicht, global etwas zu erreichen. Was bei uns eingespart wird, erlaubt bis 2021 anderen in Europa mehr zu emittieren. Dafür wird bei uns Energie teurer, und unsere Unternehmen sind weniger wettbewerbsfähig.

Frage: Wie sieht Ihr Ansatz aus?

Lindner: Wir sollten das Pariser Klimaschutzabkommen endlich ernst nehmen.

Frage: Und das wollen die Grünen nicht?

Lindner: Nein, sie leugnen aber etwa die Tatsache, dass es auch globale Kompensationen geben soll. Wir könnten also auch woanders C02 einsparen, das auf unser Konto angerechnet wird. Damit könnten wir schneller und günstiger etwas erreichen.

Frage: Also Regenwald in Brasilien retten und dafür deutsche Kohlemeiler länger laufen lassen?

Lindner: Zum Beispiel, ja. Oder natürliche Seegrasflächen aufforsten, die einer der stärksten C02-Speicher sind.

Frage: Das heißt: Es gibt nach Überzeugung der FDP einen von Menschen gemachten Klimawandel?

Lindner: Natürlich. Warum fragen Sie?

Frage: Weil Ihre Generalsekretärin Nicola Beer sich zuletzt eher als Klimawandel-Leugnerin positionierte. Sinngemäß sagte sie, der Temperaturanstieg habe nicht die Brisanz, mit der er dargestellt werde.

Lindner: Nein, ich habe ihre Aussage so nicht verstanden. Ob ein einzelner Sommer reicht, die akute Klimakrise auszurufen, sei dahingestellt. Die langfristige globale Entwicklung ist jedenfalls klar.

Frage: Können wir uns mehr Investitionen in Klimaschutz leisten? Immerhin mehren sich die Anzeichen für einen wirtschaftlichen Abschwung.

Lindner: Erstens kann Klimaschutz günstiger sein. Zweitens ist es nicht sinnvoll, jetzt erst auf die Rezession zu warten, um Maßnahmen einzuleiten. Neben der steuerlichen Entlastung beim Soli brauchen wir schnellere Abschreibungsregeln für Investitionen, schnellen Ausbau der digitalen Infrastruktur, Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, Bürokratieabbau etwa beim Arbeitszeitgesetz sowie eine Strategie zur Dämpfung des Fachkräftemangels, der das Wachstum bremst.

Frage: Unter welche Überschrift würden Sie dieses Maßnahmenpaket stellen?

Lindner: Angesichts des Brexits, der Krise der Automobilindustrie, der Digitalisierung und all der anderen Veränderungen in der Welt habe ich das Gefühl, dass die Leute sagen: Mir geht's heute gut, aber das bleibt nicht auf Dauer so. Deshalb biete ich als Überschrift an: Agenda 2030.

Frage: Im Mai sind Europawahlen. Sie setzen darauf, dass die Liberalen erstmals den Kommissionspräsidenten stellen – etwa mit der derzeitigen Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Könnte sie die Zahl der Kommissare reduzieren und für mehr Zukunftsinvestitionen sorgen?

Lindner: Die Voraussetzung dafür ist eine andere Mehrheitsbildung im Europäischen Parlament. Seit Jahrzehnten regiert dort eine informelle große Koalition. Würden die Liberalen zur zweitgrößten Kraft, würden sich die Regeln des Spiels verändern, und eine ambitioniertere Politik würde möglich.

Frage: Im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs sind die Liberalen bereits sehr stark.

Lindner: Absolut. Wir stellen immerhin ein Drittel der Staats- und Regierungschefs.

Frage: Allerdings hat die liberale Stärke bislang nicht wirklich für eine effizientere und modernere EU-Politik gesorgt.

Lindner: Eine Mehrheit hatten wir nun ja auch nicht. Aber beispielsweise in der Währungsunion haben unsere Freunde aus den Niederlanden Schlimmeres verhindert und jüngst die auch von Frau Merkel unterstützten Ideen der Vergemeinschaftung von finanziellen Risiken gebremst.

Frage: Was für eine EU will die FDP eigentlich?

Lindner: Wir wollen ein Europa, das dort mehr Gemeinsamkeit praktiziert, wo nur eine europäische Zusammenarbeit einen echten Mehrwert liefern kann, aber zugleich wollen wir überall sonst Freiheit und Vielfalt und Ideenwettbewerb erhalten.

Frage: Klingt gut - und heißt konkret?

Lindner: Mehr Kompetenzen für die EU und das Europäische Parlament von der Außenpolitik über die Migrationspolitik bis zum digitalen Binnenmarkt und Freihandel. Wenn die EU mit Kanada ein Freihandelsabkommen abschließt, reicht es, wenn es vom Europäischen Parlament ratifiziert wird. Da muss der Bundestag meinetwegen nicht auch noch mitreden.

Frage: Treibt die EU den digitalen Binnenmarkt voran, wird in Berlin aber bald über zu viel Brüsseler Bürokratie geklagt.

Lindner: Da haben Sie leider Recht. Aber entgegen anderslautender Gerüchte kommt die Bürokratie nur selten aus Brüssel. Oft ist es der Bundestag, der EU-Richtlinien so umsetzt, dass sie nicht große Probleme lösen, sondern erst große schaffen.

Frage: Brüssel ist zu Unrecht ein Sündenbock?

Lindner: Natürlich wird auch dort nicht alles richtiggemacht. Aber wer macht schon alles richtig? Das weitaus größere Problem ist, dass wir Deutschen immer Moral- und Bürokratieweltmeister werden wollen – und uns dabei selbst schaden.

Frage: Das ist ein harter Vorwurf.

Lindner: Nehmen Sie die vor Kurzem verabschiedeten, schärferen Flottengrenzwerte für Autos. Die deutsche Umweltministerin hätte einen solchen Angriff auf eine deutsche Schlüsselindustrie abwehren müssen statt ihrer Ideologie zu folgen.

Frage: Sie war allerdings nicht die Einzige, die schärfere Grenzwerte wollte.

Lindner: Das ärgert mich grundsätzlich: Wenn so viele Politiker und Kommentatoren in den Medien so genau wissen, wie man die Automobilwirtschaft retten kann, müssten sie eigentlich die Seiten wechseln und dort Manager werden. Und was die Vertreter anderer Länder in der EU angeht: Sie schlagen schärfere Grenzwerte doch nicht nur vor, weil sie die Umwelt schützen wollen, sondern weil sie knallharte ökonomische Interessen vertreten. Wer keine Autoindustrie hat, kann sie opfern.

Frage: Was hätten Sie gemacht?

Lindner: Wir neigen dazu, mehrere eigentlich inkompatible Steuerungssysteme parallel zu nutzen. Das ist ordnungspolitisch völlig daneben. Ein besserer Vorschlag wäre es gewesen, auf Flottengrenzwerte zu verzichten und das Emissionshandelssystem auf den gesamten Verkehrs- und Wärmesektor auszuweiten. Dann hätte C02 einen Preis - und darüber könnten wir die Emissionen steuern.

Frage: Hätte man dann nicht die Industrie zu sehr aus ihrer Verantwortung entlassen?

Lindner: Jetzt fangen Sie auch noch mit diesem Sprachspiel an.

Frage: Mit welchem Sprachspiel?

Lindner: Dass die Industrie schuld oder verantwortungslos sei. Dass man keine Rücksicht nehmen müsse. Die Industrie? Das sind wir doch alle und nicht irgendwelche Manager, die gegen das Allgemeinwohl handeln! Wir sind Verbraucher, wir sind Arbeitnehmer, wir sind Aktionäre – und unser Wohlstand basiert auf der Leistungsfähigkeit der Branchen, die künstlich schlechtgeredet und geschwächt werden.

Frage: Jetzt werben Sie zu Recht für eine differenzierte Sichtweise. Allerdings haben wir den Eindruck, dass Sie manchmal vereinfachend argumentieren.

Lindner: Da müssen Sie jetzt konkreter werden.

Frage: Dass es einen zweiten Koch im Kanzleramt gibt, nahmen Sie zum Anlass für den Hinweis, statt auf die guten alten Zeiten anzustoßen, müssten die guten neuen Zeiten gestaltet werden. Können Sie nachvollziehen, dass manch einer das populistisch findet?

Lindner: Nein!

Frage: Was ist für Sie Populismus?

Lindner: Wenn man einfache Dinge bewusst sagt, obwohl man weiß, dass sie falsch sind. Oder wenn man Ängste schürt, statt über Fakten aufzuklären. Die Einstellung eines zweiten Kochs im Kanzleramt als Symbol für das Ende einer Ära zu nehmen gehört zur notwendigen Zuspitzung.

Frage: Im Zusammenhang mit der Digitalisierung haben Sie Deutschland mit Nordkorea verglichen, das für ein obskures, totalitäres Regime steht. Ist das auch noch eine notwendige Zuspitzung?

Lindner: Ja, denn es ging um die Versorgung mit Glasfaser. Nordkorea kommt auf null Prozent, wir auf keine zehn und Südkorea weist über 70 auf. Wir stehen in der Frage also Nordkorea näher als Südkorea. Wer diesen Vergleich nicht versteht, hat vielleicht einen anderen Humor. Blutleeres Verwaltungsdeutsch in der Politik ist meine Sache nicht. Generell wollen wir uns dem Mainstream nicht unterwerfen. Wer das nicht mag, muss uns ja nicht wählen. Wem edle Motive wichtiger sind als gesunder Menschenverstand und klare Aussprache, ist bei uns eh falsch.

Frage: Um in Ihrer Analogie zu bleiben: Fuchst es Sie, dass der gesunde Menschenverstand in Umfragen bei unter 10 Prozent verharrt und die edle Motive verfolgenden Grünen über 20 Prozent erreichen?

Lindner: Wäre die CDU im Zustand der Sozialdemokratie, sähe das anders aus. Zwischen Grünen und SPD gibt es kommunizierende Röhren. Wir haben wenige situative Unterstützung. Warten wir also mal ab. 2016 lagen die Grünen in Umfragen schon mal ähnlich weit vor uns, bei der Bundestagswahl aber hinter uns.

Frage: Wie viele Termine haben Sie für den Bundestagswahlkampf 2019 geblockt?

Lindner: Netter Gedanke, aber die Antwort lautet: keinen. Ich rechne nicht mit einer vorgezogenen Wahl. Die große Koalition wird sich bis 2021 durchschleppen.