header-placeholder


image header
image
d4QqpTKG 400x400

Vorsorgliche Schädelbestrahlung auch beim nichtkleinzelligen Lungenkrebs?

Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) - 4. August 2018


Lungenkarzinome neigen zur Metastasierung in das Gehirn – und das Auftreten von Hirnmetastasen verschlechtert meistens die Lebensqualität der Patienten massiv. Bei kleinzelligem Lungenkrebs, bei dem das Risiko der Metastasierung besonders hoch ist, gilt die vorsorgliche Bestrahlung des Schädels, um Hirnmetastasen vorzubeugen, als Therapiestandard. „Neue Daten weisen nun darauf, dass die vorbeugende Schädelbestrahlung auch bei nichtkleinzelligem Lungenkrebs eine sinnvolle Maßnahme darstellen könnte“, so Frau Univ.-Prof. Dr. med. Stephanie Combs (Foto), Direktorin der Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie am Klinikum r. d. Isar der TU München.

Jedes Jahr erkranken in Deutschland über 50.000 Menschen (ca. 34.000 Männer und ca. 20.000 Frauen) an Lungenkrebs, mit ca. 75% ist das sogenannte nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC – „Non Small Cell Lung Carcinoma“) am häufigsten [1]. Das seltenere kleinzellige gilt als gefährlicher, da es schneller Metastasen bildet. Da es typischerweise in das Gehirn metastasieren kann, wird zusätzlich zur eigentlichen Tumortherapie eine vorsorgliche (prophylaktische) Bestrahlung des Schädels (PCI/ „prophylactic cranial irradiation“) empfohlen. In frühen Stadien des kleinzelligen Lungenkrebses reduziert eine PCI das Auftreten von Hirnmetastasen ca. um 50% und verlängert das Gesamtüberleben.

Das Auftreten von Hirnmetastasen verschlechtert auch die Lebensqualität der Patienten massiv, da sie die funktionellen Bereiche im Hirn und auch Nerven beeinträchtigen. Typischerweise kommt es zu starken Kopfschmerzen, auch zu Schwindel und Übelkeit aufgrund des erhöhten Hirndrucks, häufig sind auch Krampfanfällen, sensorische Störungen (z.B. das sehen von Doppelbildern), Sprachstörungen, manchmal kann es sogar zur Halbseitenlähmung oder psychischen Störungen bis hin zu einer Wesensveränderung kommen.

Die Frage ist daher, ob auch Patienten mit nichtkleinzelligem Lungenkrebs von der vorsorglichen Hirnbestrahlung profitieren – immerhin entwickelt auch jeder dritte Patient im NSCLC-Stadium III binnen zwei Jahren Hirnmetastasen.

Eine aktuelle Studie aus den Niederlanden und Belgien untersuchte die prophylaktische Schädelbestrahlung (PCI) bei NSCLC-Patienten in Stadium III bei kurativem Therapieansatz hinsichtlich des Auftretens symptomatischer Hirnmetastasen sowie des Gesamtüberlebens: 175 Patienten wurden nach Abschluss einer multimodalen Therapie (Chemostrahlentherapie +/- Operation) 1:1 randomisiert und erhielten entweder eine PCI oder wurden nur beobachtet (Kontrollgruppe). Studienendpunkt war primär das Auftreten von symptomatischen Hirnmetastasen innerhalb von zwei Jahren. Bei Hirndruck-Symptomatik wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Krampfanfällen, kognitiven oder affektiven Auffälligkeiten wurde mittels CT oder MRT nach Hirnmetastasen gesucht. In der Nachbeobachtungszeit von median 48,5 Monaten traten in der PCI-Gruppe bei 7% (6/86) symptomatische Hirnmetastasen auf – in der Beobachtungsgruppe dagegen bei 27% (24/88). Das Gesamtüberleben war in den Gruppen nicht signifikant unterschiedlich. Gegenüber Patienten ohne Bestrahlung war die Lebensqualität in der PCI-Gruppe in den ersten drei Monaten nach der Bestrahlung niedriger, danach war sie in beiden Gruppen ähnlich. In der PCI-Gruppe hatten mehr Patienten niedriggradige Gedächtnisstörungen (26/86 gegenüber 7/88) und Aufmerksamkeitsstörungen (16/86 gegenüber 3/88). Zusammenfassend reduzierte eine prophylaktische Schädelbestrahlung bei NSCLC-Patienten in Stadium III nach kurativem Therapieansatz das Auftreten symptomatischer Hirnmetastasen von 27% auf 7% – um den „Preis“ kognitiver Beeinträchtigungen (Grad I-II) wie Gedächtnisstörungen bei jedem dritten Patienten (ohne Bestrahlung traten diese Beschwerden nur bei knapp 5% auf) sowie Aufmerksamkeitsstörungen bei fast jedem fünften Patienten (3% in der Kontrollgruppe).

Vieles deutet also auch auf einen Nutzen der prophylaktischen Schädelbestrahlung (PCI) beim NSCLC. Was aber auch erwähnt werden muss: Das Gesamtüberleben konnte die PCI nicht beeinflussen; einen Rückfall (Rezidive) erlitten in den zwei Jahren fast genauso viele Patienten nach PCI (67%) wie in der Kontrollgruppe (72%). DEGRO-Pressesprecherin, Univ.-Prof. Dr. med. Stephanie Combs, Direktorin der Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie am Klinikum rechts der Isar der TU München, erläutert: „Rezidive können gerade beim nichtkleinzelligem Lungenkrebs auch außerhalb des Gehirns auftreten und zum Fortschreiten der Krebserkrankung führen. Das kann die PCI nicht verhindern, sie kann aber nach jetziger Datenlage für viele Patienten eine sinnvolle und wirksame Maßnahme darstellen, um die Lebensqualität zu erhalten.“

„Eine Schädelbestrahlung kann Hirnmetastasen vorbeugen bzw. das Auftreten zeitlich hinausschieben“, so Prof. Dr. med. Wilfried Budach, Direktor der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie am Universitätsklinikum Düsseldorf und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO). „Allerdings kann die Bestrahlung mit neurokognitiven Nebenwirkungen (z. B. Konzentrationsstörungen, Störungen der Merkfähigkeit, Abgeschlagenheit) einhergehen und beim NSCLC konnte bislang keine Verlängerung der Überlebenszeit durch die vorsorgliche Bestrahlung belegt werden.“

Die DEGRO rät dazu, die PCI bei kleinzelligem Lungenkrebs weiterhin als Therapiestandard durchzuführen, da sie hier auch mit einem Überlebensvorteil einhergeht und der Nutzen die Risiken überwiegt. Beim nichtkleinzelligem Lungenkrebs empfiehlt sie ein individualisiertes Vorgehen, da das Nutzen-Risiko-Profil nicht so deutlich ist. „Hirnmetastasen können die Lebensqualität der Patienten drastisch verschlechtern und das ist individuell gegen das Risiko möglicher Nebenwirkungen abzuwägen. Der Patient sollte in diese Entscheidung eingebunden werden. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Datenlage können wir keine klare Empfehlung für die PCI bei NSCLC geben“, so der DEGRO-Präsident. „Die DEGRO arbeitet in Zusammenarbeit mit europäischen und internationalen Studiengruppen daran, die Evidenzlage zur Strahlentherapie in dieser klinischen Situation weiter zu festigen.“