Schöpferische
Minderheit
Statement bei der Auftaktveranstaltung zur Pastorale
2019
am 10.11.2018 in Halle
(Bischof Dr.
Gerhard Feige)
„Geschlossene Gesellschaft!“ Wo ein solcher Hinweis
zu finden ist, weiß man: Hier feiert eine Familie, ein Freundes- oder
Bekanntenkreis. Hier trifft sich ein Club oder eine Partei, eine
Interessengemeinschaft oder ein bestimmtes Team. Hier will man unter sich sein
und nicht durch Fremde gestört werden. Rein kommt nur, wer organisch dazugehört
oder eingeladen ist.
„Geschlossene Gesellschaft.“ Das charakterisiert auch
Gruppen, die sich in besonderer Weise von anderen abheben, sich als besser
dünken oder die etwas zu verbergen haben: Reiche und Schöne, ideologisch
Verblendete und kleinkarierte Sektierer, rechte und linke Extremisten. Man
fühlt oder hat sich verbündet, kreist oftmals nur noch um sich selbst und
schmort im eigenen Saft. Elitäres Gehabe, Abgrenzung gegenüber anderen oder
sogar Aggressivität sind angesagt.
„Geschlossene Gesellschaft.“ Das kann auch die Folge
edler Motive sein und betrifft z.B. manche strengen christlichen
Glaubensgemeinschaften. Weil sie davon überzeugt sind, „nicht von dieser Welt
zu sein“, gehen sie zu ihr auch radikal auf Distanz. Und der Zusammenhalt in dieser
Gemeinschaft gibt jedem und jeder Einzelnen Geborgenheit und Identität. Nach
außen aber wirkt sich kaum etwas aus. Nur wenige sind an ihnen interessiert.
Um zu überleben, erscheint es vielen Minderheiten
fast notwendig zu sein, sich eine eigene Welt zu schaffen und darin zu
verschanzen. So suchen auch manche Christen angesichts moderner Entwicklungen
ihr Heil in bergenden Gettos, sektiererischen Zirkeln oder kuschligen
Wohlfühlgruppen, verengen in ihrem Denken und argumentieren recht
selbstgefällig und selbstgerecht.
Was es bedeutet, seine konkrete Berufung und Sendung
immer wieder neu finden zu müssen, ist uns Katholiken hier in dieser Region
seit der Reformation mehr als vertraut. In einer „Diaspora“ zu leben – das
heißt: unter die anderen zerstreut zu sein –, das war und ist für uns schon
jahrhundertelang das Schicksal und die Herausforderung, die Last und die Chance
unseres Christseins: sich als eine zusammengewürfelte Kirche von Zugezogenen zu
erfahren, skeptisch beäugt, manchmal sogar diskriminiert und bekämpft,
gewissermaßen als ein gesellschaftlicher Fremdkörper.
Zu DDR-Zeiten sind wir Katholiken enger
zusammengerückt und haben – heute würde man sagen – so etwas wie eine
„Parallelgesellschaft“ gebildet, eine „Insel der Seligen inmitten einer als
böse empfundenen Welt“. Obwohl die Verhältnisse überhaupt nicht volkskirchlich
waren, haben wir doch – so meine ich heute – im Kleinen versucht, Volkskirche
nachzuahmen. Als unsere Zahl abnahm, sprach man gelegentlich von
„Gesundschrumpfung“, aber wir wurden nicht gesünder. Zurück blieben nicht nur
100prozentig überzeugte, bekennende und engagierte Gläubige; nach wie vor gab
und gibt es die ganze Breite, nur weniger: von völlig Begeisterten bis zu
gerade noch Dazugehörenden.
Wie kann Kirche da lebendig bleiben und vielleicht
sogar noch überzeugender werden? Auf jeden Fall ist sie – wie schon das
Evangelium und dann auch die weitere Geschichte belegen – nicht an bestimmte
Verhältnisse gebunden. Sie braucht nicht unbedingt jubelnde Massen, eine
luxuriöse Ausstattung und volkstümliche Trachten. Kirche kann überall – auch
unter schwierigsten Umständen – Wurzeln schlagen, sich entfalten und ihrer
Sendung gerecht werden. Entscheidend ist aber, dass möglichst viele Getaufte
und Gefirmte dies begreifen.
Das zeigt sich auch im Bistum Magdeburg. Trotz
schwieriger Rahmenbedingungen und mancher Widerstände gegenüber notwendigen
Blickwechseln kann man immer wieder nur staunen, wie begnadet und kreativ doch
auch eine „kleine Herde“ von gläubigen Christen sein kann: in geistlichen und
katechetischen Belangen, im Erziehungs- wie im Bildungsbereich, kulturell und
politisch oder in der Sorge um Notleidende und Bedürftige, Benachteiligte und
Ausgegrenzte. Wir sind durchaus eine „schöpferische Minderheit“, kein Plagiat
oder Imitat, sondern ein wirkliches Original. Wir haben es nicht nötig, andere
Ortskirchen einfach nachzuahmen. Gott traut uns durchaus auch eigene Lösungen
zu. Wir sind nicht grund- und absichtslos in diese sonderbare Situation
Mitteldeutschlands gestellt.
Schon 2004
haben wir im Rahmen unseres Pastoralen Zukunftsgesprächs unser Leitbild
folgendermaßen beschrieben: „Wir wollen eine Kirche sein, die sich nicht selbst
genügt, sondern die allen Menschen Anteil an der Hoffnung gibt, die uns in
Jesus Christus geschenkt ist. Seine Botschaft verheißt den Menschen ‚das Leben
in Fülle‘, auch dann, wenn die eigenen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Deshalb
nehmen wir die Herausforderung an, in unserer Diasporasituation eine
missionarische Kirche zu sein. Einladend, offen und dialogbereit gehen wir in
die Zukunft.“
Auf dieser Grundlage haben wir zehn Jahre später angesichts
fortschreitender Veränderungen unserer gesellschaftlichen und kirchlichen
Situation weitere Zukunftsbilder entworfen. Diese erfinden die Kirche nicht
neu, stellen aber einen Orientierungsrahmen für das pastorale Handeln auf allen
Ebenen dar und versuchen die Frage zu beantworten: Wo wollen wir als Bistum
Magdeburg im Jahr 2019 stehen, das heißt 25 Jahre nach unserer Bistumsgründung.
Ansatzhaft beschreiben sie, was für die weitere Entwicklung heilsam wäre, und
regen an, darüber ins Gespräch zu kommen, sich damit auseinanderzusetzen und
das konkrete Handeln daran auszurichten. Dabei gehen sie von der Kernaussage aus: „Wir sind Gottes Zeugen hier und
heute. Als schöpferische Minderheit setzen wir in ökumenischem Geist seinen
Auftrag um: In unseren Pfarreien, in Gemeinden, Gemeinschaften und
Einrichtungen, in Kooperationen mit Partnern in der Gesellschaft. Wir genügen
uns dabei nicht selbst, sondern geben missionarisch allen Menschen Anteil an
der Hoffnung, die uns in Jesus Christus geschenkt ist.“ Daraus
folgen für die drei Grundfunktionen von Kirche: „Unsere Verkündigung soll die
Botschaft von der Zuwendung Gottes zu allen Menschen tragen. Unser diakonisches
Handeln soll den Dienst Gottes am Leben aller Menschen erfahrbar machen. Unsere
Liturgien sollen Menschen in und außerhalb der Kirche mit dem Geheimnis Gottes
in Berührung bringen.“
Wie aber kann so etwas
umgesetzt werden? Dazu möchte ich drei Beispiele nennen.
1.
Pfarrei neu denken
Als wir vor acht Jahren 44
neue Pfarreien gegründet haben, sind wir von dem Modell „Pfarrei in mehreren
Gemeinden“ ausgegangen; man könnte auch noch ergänzen: „und Gemeinschaften“.
Jede dieser Pfarreien sollte damals mindestens 1500 bis 2000 Gläubige haben.
Inzwischen gibt es jedoch 15 von ihnen mit weniger als 1500 und sieben davon
sogar mit weniger als 1000 Mitgliedern. Zudem können bereits jetzt sechs nicht
mehr mit einem eigenen kanonischen Pfarrer besetzt werden. Trotz der
abzusehenden Entwicklung hatte ich schon 2014 erklärt, unsere pastoralen Räume
– jedenfalls in nächster Zeit – nicht noch einmal zu vergrößern, sondern es bei
den 44 Pfarreien zu belassen.
Jede Pfarrei ist
gewissermaßen eine Schicksals- oder – wie es in einigen anderen Bistümern heißt
– eine Verantwortungsgemeinschaft. Auf dem jeweiligen Territorium soll überlegt
und entschieden werden: Was gilt es gemeinsam anzugehen und zu gestalten
(Erstkommunion- und Firmvorbereitung sind da schon selbstverständlich), und wie
kann Kirche vor Ort präsent bleiben? Dabei ist auch zu klären: Was ist in
diesem Kontext eine lebendige und lebensfähige Gemeinde? Kann man tatsächlich alle Pfarreien, Pfarrvikarien
und Kuratien, die in den einzelnen Vereinbarungen angeführt wurden, noch als
wirkliche Gemeinden ansehen oder sind manche nicht nur noch Reste davon, kaum
noch als eigenständig wahrnehmbar, im früheren Sprachgebrauch wieder zu
Außenstationen geworden? Das ist nicht abwertend gemeint, vor allem im Hinblick
auf die zumeist älteren Gläubigen, die bis zum heutigen Tag die Gottesdienste –
so armselig sie vielleicht auch sind – treu mitfeiern. Es stellt sich aber die
Frage: Brauchen wir nicht für unsere ungleichen Verhältnisse eine örtlich
differenzierte Pastoral? Müssten wir nicht noch intensiver darüber nachdenken:
Was gilt es besonders zu fördern? Was ist zukunftsträchtig? Wo bricht etwas
auf? Und wie sollten wir mit unseren Kleinstverhältnissen umgehen? Ist es noch
verantwortlich, nach dem ‚Gießkannenprinzip‘ vorzugehen, oder sollten die
vorhandenen Kräfte nicht zielgerichteter eingesetzt werden?
Dabei sind die Pfarreien noch stärker als
großräumige Netzwerke zu verstehen, in denen die darin befindlichen Gemeinden,
Gemeinschaften, Einrichtungen, Gruppen und Initiativen gewissermaßen
Knotenpunkte sind. Geht es bei der Pfarrei vor allem darum, den rechtlich
abgesicherten Rahmen offen zu halten, Kirche theologisch als „universales
Heilssakrament“ zu vergegenwärtigen und sowohl Einheit als auch Vielfalt zu
garantieren, sind die verschiedenen Netzwerkpartner eher die Orte, an denen das
Evangelium besonders konkret entdeckt und gelebt wird. Dabei arbeiten alle
Gruppierungen grundsätzlich mit den eigenen Kräften und selbstverantwortlich.
Hilfe erfahren sie erst dann, wenn sie an ihre Grenzen stoßen (=
Subsidiarität). In ihrem Zusammenwirken bereichern die Partner sich
gegenseitig und unterstützen einander und andere (= Solidarität).
„Von der versorgten zur sorgenden
Gemeinde“ war schon vor 40 Jahren eine pastorale Leitvorstellung. Angesichts
der jetzt auch noch abnehmenden Zahl von Priestern müssen künftig noch mehr
Gläubige selbst Verantwortung übernehmen und sich gegebenenfalls auch an der
Leitung mitbeteiligen. Die Aufgabe von hauptberuflichen Mitarbeiter/innen
liegt dann vor allem in der Ermutigung und Begleitung von Menschen, die
ehrenamtlich Verantwortung übernehmen. Auf jeden Fall wird Kirche nicht mehr
nur da existieren, wo ein Priester zur Verfügung steht und sie organisiert, sondern
vor allem da, wo andere Christen selbst dafür einstehen und sie gestalten, auf
das Wort Gottes hören, miteinander beten und feiern sowie sich für Bedürftige
einsetzen.
2.
Kirche auch anderswo sehen
Kirche
ist nicht nur die Pfarrei oder in den Gemeinden präsent. Kirche ist auch an
anderen Orten lebendig, ja überall da, wo Menschen mit Gott in Berührung
kommen – egal wer sie sind, wie sie glauben oder was sie besitzen, auf dem
Gebiet der Pfarrei, aber auch über die bisher schon üblichen Formen hinaus.
Dazu
gehören in kirchlicher Trägerschaft z.B. Kindertagesstätten, Schulen,
karitative Einrichtungen wie Sozialstationen, Behinderten- und
Altenpflegeheime, Krankenhäuser und Jugendklubs, Suppenküchen und Wärmestuben,
Sozialkaufhäuser und ein Interkulturelles Beratungs- und Begegnungszentrum.
Dazu gehören auch Wallfahrtsorte und Klöster sowie andere
Ordensniederlassungen. Dazu gehören unsere Akademien und Bildungshäuser, aber
auch verschiedene christliche Vereine und Verbände. Kirche ereignet sich zudem
in der Seelsorge im Krankenhaus oder im Gefängnis, bei Notfällen und anderen
Beratungs- und Hilfsdiensten. Ganz selbstverständlich sind natürlich alle
ökumenischen Gottesdienste und Begegnungen ein lebendiger Ausdruck von Kirche.
Darüber hinaus gibt es inzwischen auch noch viele andere Orte oder Gelegenheiten,
an denen wir mit Menschen aus unterschiedlichen Zusammenhängen in Beziehung
treten. Ich nenne hier z.B. unsere Bistumsinitiativen: die Stiftung „Netzwerk
leben“, die „Partnerschaftsaktion Ost“ oder die „Flüchtlingshilfe
Sachsen-Anhalt“. Auch die Lebenswendefeiern zeigen das oder Segnungen ziviler
Einrichtungen, Gottesdienste bei gesellschaftlichen Anlässen wie zum Tag der
deutschen Einheit oder einer Landesgartenausstellung, die Mitarbeit in Hospiz-
oder anderen Bürgervereinen, Nikolausaktionen und Martinsfeiern. Selbst in
Museen und bei Ausstellungen oder auf Weihnachtsmärkten und beim
Landeserntedankfest kann Kirche auf einmal da sein.
Als im
November 2012 bei unserer zweiten Bistumsversammlung rund 400 Haupt- und
Ehrenamtliche aus unseren Pfarreien und Sozial- wie auch Bildungseinrichtungen
teilnahmen, gehörte zum Programm auch dazu, dass – entsprechend der Anzahl der
neuen Pfarreien – 44 Gesprächskreise ermöglicht wurden, damit die Mitarbeitenden
der jeweiligen Pfarrei und der auf ihrem Territorium befindlichen
Einrichtungen, Verbände und Orden sich noch bewusster wahrnehmen und vernetzen
konnten. Das zu verinnerlichen und gemeinsam zu nutzen, muss noch mehr
umgesetzt werden. Zugleich gilt es, diese örtlichen Kristallisationspunkte
gelebten Glaubens, die viele mit dem christlichen Menschenbild in Berührung
bringen und für zahlreiche gesellschaftliche Akteure wichtige Partner in der
Auseinandersetzung mit drängenden Fragen unserer Zeit sind, geistlich zu
profilieren und deren Verantwortliche und Mitarbeitende entsprechend zu
begleiten und fortzubilden.
Darüber hinaus wird Kirche schon durch alle Getauften und
Gefirmten in deren jeweiliger
Umgebung präsent. Keine und keiner der Getauften kann sich dieser Herausforderung
entziehen und auf andere verweisen. Jede und jeder kann das Antlitz der Kirche
verdunkeln oder ihr Leuchten verstärken. Dabei sind wir als Kirche „kein Ofen,
der sich selber wärmt“ (Karl Rahner), oder auch „keine Thermoskanne, nach innen
heiß und nach außen kalt“ (Heinz Zahrnt). Kirche ist für die Menschen da, muss
bei ihnen sein und sich für ihr ganzheitliches – das heißt leibliches und
seelisches, irdisches und ewiges – Heil engagieren. Sich dieser doppelten
Ausrichtung auf Gott und Menschen bewusst zu bleiben und nicht einseitig nur
humanistisch oder nur religiös zu sein, macht das Proprium von Kirche aus.
Damit
folgen wir konsequent Jesu Wort: ‚Geht hinaus in alle Welt‘. Dabei ersetzen die
anderen und neuen Orte die Gemeinden nicht und sind auch nicht lediglich ‚Kür‘
neben der ‚Pflicht‘, erscheinen aber als immer bedeutsamer. Wenn wir dies ernst
nehmen, werden wir künftig mehr Zeit und Kraft dafür aufwenden müssen. Aus
einer bislang eher gewohnten „Komm-her-Kirche“ muss immer stärker eine
„Geh-hin-Kirche“ werden.
3.
Insgesamt diakonisch handeln
In einem gewissen
Sinn „ist kirchliches Engagement im Ganzen diakonisch“. Doch was heißt es, „in
einer seit Generationen bestehenden religiösen Minderheitensituation …
diakonisch Kirche zu sein“, in einer Umgebung, in der mehr als 80% der Menschen
konfessionslos sind und sich darin als „normal“ verstehen? Die politische Relevanz
und der gesellschaftliche Einfluss der Kirchen sind längst zurückgegangen, und
in moralischen und religiösen Fragen wird uns Christen keine Deutungshoheit
mehr zugestanden. Viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger sind nicht bewusst
antikirchlich oder antiklerikal, für sie ist Religion aber „keine Kategorie der
Selbstdefinition“ mehr. Sie „entziehen sich (vielmehr) entschieden religiöser
Übergriffigkeit und bestimmen souverän den Grad möglicher Berührung mit
religiösen Themen, die behutsam in eine verständliche und authentische Sprache
gefasst werden müssen, damit sie überhaupt zur Sprache gebracht werden können“.
Angesichts einer solchen Situation „eröffnen sich neue und durchaus andere
Chancen, kirchliche und christliche Identität zu verstehen, zu gestalten und zu
reflektieren“.
Dazu wäre es zunächst
aber erst einmal wichtig, sich bewusst zu machen: Diakonisches Handeln lässt
etwas von der Zuwendung Gottes zu den Menschen überfließen, ohne sie
„verkirchlichen“ zu wollen. Es geschieht „absichtslos und unbedingt, ohne vom
Gegenüber einen Taufschein oder Taufwunsch einfordern zu dürfen“. Diakonie ist
dann vor allem auch „eine Haltung, ohne kirchliches Eigeninteresse uneigennützig
zu geben“. Darin
spiegelt sich etwas vom Kirchenbild des Zweiten Vatikanischen Konzils wider,
wenn es in der dogmatischen Konstitution Lumen
gentium z.B. heißt, dass die Kirche „Zeichen und Werkzeug für die innigste
Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ sei (LG 1).
„Sie soll Erfahrungsraum und Ermöglichung für etwas sein, das größer ist als
sie selbst. Kirche handelt nicht in ihrem eigenen Namen und zu ihren eigenen
Gunsten, sondern um des Reiches Gottes willen, das weit über die sichtbaren
Grenzen der Kirche hinausreicht“.
Zum anderen sollte
man sich bei jeglichem diakonischen Handeln „vor der Gefahr eines gönnerhaften
Paternalismus“ hüten, nicht „von oben herab“ und mit fertigen Konzepten auf die
Menschen zugehen, sondern sich an ihrer Wirklichkeit, an ihren Hoffnungen und
an ihren Bedürfnissen orientieren. Maßstab ist dabei „der Mensch, der mir
begegnet, seine Erfahrungswelt, seine Einstellungen und Wertvorstellungen und
seine geschichtliche Prägung…“. Wir müssen uns fragen: Welche Themen
sind gerade aktuell, was erfreut die Menschen, was regt sie auf, was macht
ihnen Sorge? Die Werke der Barmherzigkeit folgen dann „dem Bedarf des
Notleidenden, nicht den Anforderungen oder Statuten dessen, der Barmherzigkeit
übt. … Pastorale Handlungsfelder … entstehen an Orten und Gelegenheiten, an
denen Christen und Nichtchristen im Gebiet zusammenleben: in Familien, in
nachbarschaftlichen Zusammenhängen, Kitas, Schulen, caritativen Einrichtungen,
anlässlich von Projekten, Aktionen etc.“ Deshalb umfasst die Diakonie auch mehr
als das Handeln der institutionalisierten Caritas. Diakonisch ist z.B. auch die
offene Jugendarbeit, die in Magdeburg seit 25 Jahren von Don-Bosco-Schwestern
in einem Stadtviertel angeboten wird, das als sozialer Brennpunkt gilt.
Diakonisch sind „liturgische Feiern und Rituale, die in die Gesellschaft hinein
wirken (Segnungen für Neugeborene, zur Einschulung, Segnungen für
Schulabgänger, für junge Familien, zum Übergang ins Rentenalter, Segnungen am
Krankenbett...)“.
Solche pastoralen
Aufgaben werden in Zukunft vermutlich noch stärker als bisher auch von
getauften Laien übernommen: in der Sterbe- und
Trauerbegleitung, im Begräbnisdienst, in der Suchenden-Pastoral oder in der
Begleitung verschiedener Lebenswenden. Die Erfahrung zeigt, dass gerade in
solchen Angeboten eine große Chance liegt, denn die Menschen in unserer
Nachbarschaft sind durchaus offen dafür, sich auf existentielle Fragen
einzulassen. Auch sie „wollen Erfahrungen im Umgang mit Fehlern und Scheitern,
der Endlichkeit des Lebens und Erfahrungen der Geborgenheit, der Vergebung und
der Hoffnung thematisieren. Auch sie suchen Antworten in der Flut der
Sinnangebote“.
Hier sind wir als Christen herausgefordert und durchaus gefragt.
Eine
diakonische Kirche in säkularer Gesellschaft zu sein erweist sich so als ein
kirchliches Handeln, das als Ganzes diakonisch ist: sie kommt in den
verschiedenen Institutionen der Caritas zum Ausdruck, aber eben auch in den
Grundvollzügen der Martyria und Liturgia. Überall geht es darum, den Menschen
so zu begegnen, dass sie durch uns mit dem Geheimnis Gottes in Berührung kommen
können, ohne dabei vereinnahmt zu werden. Als schöpferische Minderheit
versuchen wir – zusammen mit verschiedenen Partnern - „aus der gewohnten Rolle des Gastgebers“
heraus „in die Rolle eines Gastes im Leben“ unserer Mitmenschen zu treten.
Wir erfahren uns dabei immer wieder nicht nur als Lernende und Befragte,
sondern vor allem auch als reich Beschenkte.