header-placeholder


image header
image
plenum teaser sitzungsverlauf bild  1

Aktuelle Nachrichten aus dem Bundestag

Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Fr.., 29. Januar 2021

01. Ex-Innenminister NRW wirbt um Verständnis

1. Untersuchungsausschuss/Ausschuss

Berlin: (hib/WID) Der ehemalige Innenminister Nordrhein-Westfalens, Ralf Jäger (SPD), hat um Verständnis für das Scheitern der Sicherheitsbehörden im Fall des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri geworben. "Sicherheitsbehörden haben keine Glaskugel", sagte er am Donnerstag dem 1. Untersuchungsausschuss. Gewiss seien ihnen in der Beurteilung Amris "fatale Fehleinschätzungen unterlaufen". Dennoch wäre es nicht statthaft, im Rückblick den Anschein zu erwecken, "als sei damals eine andere Einschätzung möglich gewesen". Während seines Aufenthaltes in Deutschland in den Jahren 2015 und 2016 pendelte Amri zwischen Berlin und Nordrhein-Westfalen. Der heute 59-jährige Jäger amtierte bis zum Regierungswechsel im Juni 2017 als Ressortchef in Düsseldorf.

Im Jahr 2016 habe sich Deutschland im "Fadenkreuz des islamistischen Terrorismus" befunden, sei Europa zur "Zielscheibe" geworden, sagte der Zeuge. Das "Grundrauschen" in der radikalislamischen Szene sei vernehmbarer gewesen denn je. Im Durchschnitt seien den Verfassungsschutzämtern täglich 20 Attentatswarnungen zugegangen. Zum Stichtag des 28. Februar 2017 seien in ganz Deutschland 9.700 Salafisten gezählt worden. Allein 2.900 seien in Nordrhein-Westfalen ansässig gewesen, von denen 688 als gewaltbereit eingeschätzt worden seien. Bundesweit hätten die Behörden damals 616 islamistische Gefährder registriert, unter ihnen 224 in Nordrhein-Westfalen: "Die Sicherheitsbehörden mussten täglich entscheiden, was zu tun war."

Allein einen einzigen Gefährder rund um die Uhr zu überwachen, erfordere den Einsatz von bis zu 30 Beamten, rechnete Jäger vor. Dabei seien obendrein "rechtlich enge Grenzen" zu berücksichtigen. Voraussetzung für eine dauerhaft gerichtsfeste Überwachung sei, dass die von einer Person ausgehende Gefahr "konkret belegt" werde. Dies sei im Fall Amri nicht gelungen. Aus diesem Grunde wäre es nach Ansicht Jägers auch nicht möglich gewesen, gegen Amri eine Abschiebungsanordnung nach Paragraf 58a Aufenthaltsgesetz zu erwirken, was Anfang 2016 in nordrhein-westfälischen Behörden erwogen wurde.

Die Bestimmung besagt, dass ein Bundes- oder Landesinnenminister eine solche Anordnung aussprechen kann, wenn eine "auf Tatsachen gestützte Prognose" erwarten lässt, dass von einem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik ausgeht. Dies sei Amri aber trotz monatelanger Beobachtung nicht nachzuweisen gewesen. Der Paragraf 58a sei mit "hohen Voraussetzungen" verbunden, was ihn nach Jägers Einschätzung damals faktisch unanwendbar machte. Gleichwohl sei es gelungen, auf dem Wege des Ausländerrechts dasselbe Ziel zu erreichen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge habe innerhalb der sensationell kurzen Frist von sechs Wochen Amris Asylbegehren abgeschmettert. Damit sei der Mann ebenso "vollziehbar ausreisepflichtig" gewesen wie es bei Anwendung des Paragrafen 58a der Fall gewesen wäre.

Dass es dennoch nicht gelungen sei, ihn loszuwerden, sei dem mangelnden Kooperationswillen der Behörden seines Heimatlandes Tunesien anzulasten. Erst am 24. Oktober 2016 habe Interpol Tunis Amris Identität bestätigt. Ihn zu diesem Zeitpunkt in Abschiebehaft zu nehmen, wäre allerdings nur dann möglich gewesen, wenn die Sicherheit bestanden hätte, ihn binnen dreier Monate außer Landes zu bringen. Aller Erfahrung nach dauerte so etwas damals aber im Durchschnitt zehn Monate. Kein Haftrichter, so Jäger, hätten den Behörde unter diesen Umständen abgenommen, dass es mit Amri schneller gegangen wäre. Auch heute noch könne man Gefährder nicht ohne weiteres in Abschiebehaft nehmen, sagte der Zeuge und verwies auf den Fall eines jordanischen Gefährders, auf dessen Abschiebung das Land Nordrhein-Westfalen seit über zehn Jahren erfolglos hinarbeite.

Der Fall Amri habe gezeigt, wie verwundbar Deutschland sei, so Jäger. Ein Attentäter brauche keinen Plan, keine Waffe, kein Geld, nur Alltagsgegenstände und Tötungswillen: "Heute den Eindruck zu erwecken, die Menschen in Berlin seien gestorben, weil Behörden oder der Staat versagt hätten, halte ich für falsch."